Während Harald Aue in "Ein Clown I Ein Leben" den Clown und Mitbegründer des Circus Roncalli Bernhard Paul porträtiert, spürt Arthur Summereder in "Motorcity" der Drag-Racing-Szene in Detroit nach. Patric Chiha wiederum lässt in "Wenn es Liebe wäre" in eine fulminante Tanzproduktion eintauchen.
Ausgehend von einer TV-Diskussion im legendären "Club 2" in den späten 1970er Jahren, in der Zirkusdirektorin Elfi Althoff Jacobi erklärt, dass man nicht einfach so Zirkus machen könne, porträtiert Harald Aue den Quereinsteiger Bernhard Paul. Er kam eben nicht aus der Zirkuswelt, aber entdeckte schon als Kind seine Leidenschaft dafür und verwirklichte schließlich 1975 gemeinsam mit André Heller seinen Jugendtraum mit der Gründung des Circus Roncalli. Heller und Paul zerstritten sich zwar bald, doch Paul führte seinen Circus weiter und entwickelte ihn zu einem erfolgreichen Unternehmen.
Aue zeichnet nicht chronologisch Pauls Leben nach, spart den Streit mit Heller ebenso aus wie die Geschichte des Roncalli insgesamt, taucht dafür mit Found Footage und einem Besuch Pauls in seinem Heimatdorf Wilhelmsburg an der Traisen in Kindheitserfahrungen ein. Er lässt den Künstler sich an sein schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter, von der er sich nicht geliebt fühlte, ebenso erinnern wie bei einem Besuch auf dem Friedhof an den Lehrer und andere Dorfbewohner. Wie mit diesen Szenen Gedanken an die Vergänglichkeit beschworen werden, so wird mit Archivmaterial von alten Clownnummern Pauls auch wehmütig einer langsam verschwindenden Zirkuskultur die Liebe erklärt.
Detailliert herausgearbeitet wird in dem mit viel Feingefühl gestalteten Dokumentarfilm, der spürbar eine Labour of Love ist, auch der Unterschied von Pauls Roncalli zur restlichen Zirkuswelt. Denn keine sabbernden Kamele und nach Schweiß riechenden Artisten in synthetischen Anzügen wollte er, sondern träumte davon den alten Clown-Zirkus mit Weißclown, August und Gegen-August wieder zu beleben. Dem Weißclown Francesco Caroli wird dabei ebenso ein Denkmal gesetzt, wie in die Wurzeln dieser Clowns Einblick geboten wird. Gleichzeitig wird mit einem jungen mexikanischen Clown, den Paul in Spanien entdeckt hat und mit dem er eine alte Nummer neu inszenieren will, die Hoffnung auf ein Fortleben des klassischen Zirkus beschworen.
In die Drag-Racing-Szene von Detroit taucht dagegen Arthur Summereder in "Motorcity" ein. Man kann den Gummi und das Benzin regelrecht riechen, wenn bei den Starts zu den gerade mal eine Viertelmeile langen Rennen die Motoren heulen und die Luft von Gummiabrieb und Auspuffgasen von Qualm erfüllt ist. Summereder begleitet John Quick, Lil Carter oder Karri Anne Beebe zu Rennen oder bei der eigenhändigen Reparatur ihrer hochgetunten Wagen und lässt sie von ihrer Leidenschaft erzählen.
Ausgehend von John Gasts 1872/73 entstandenem berühmten Gemälde "Fortschritt Amerikas" sieht Summereder im Beschleunigen bei den Drag-Races und im geraden Vorwärtsdrang aber auch eine typisch amerikanische Haltung, bei der es immer nach vorne und um Geschwindigkeit geht. Die Drag-Race-Szene verknüpft der Oberösterreicher dabei auch mit der Geschichte Detroits, das einst Motorhauptstadt der Welt war, nach dem Niedergang der Automobilindustrie aber 2013 Bankrott anmelden musste, und dessen Einwohnerzahl von zwei Millionen auf 600.000 sank.
Auch "Motorcity" ist spürbar der Film eines Fans, der Zugang zu einem Milieu gefunden hat, das sich – zudem noch ausländischen – Außenstehenden gegenüber sonst sehr reserviert verhält. Doch Summereder konnte sichtlich das Eis brechen und so ein Naheverhältnis aufbauen, das ihm ermöglicht vielschichtige Einblicke in die Szene zu bieten.
Furioses Körperkino bietet dagegen Patric Chiha, der bei "Wenn es Liebe wäre" in Gisèle Viennes Tanzstück "Crowd", in dem die Choreografin die Stimmung der Raves der 1990er Jahre vermitteln will, eintauchen lässt. Einen ungeheuren Sog entwickeln die Szenen, in denen die 15, aus verschiedenen Ländern stammenden Tänzer*innen sich auf der Bühne zu wummernden elektronischen Beats in Zeitlupe bald nähern, bald zurückstoßen. Intensiv erzählen diese Szenen, die mit den Tanzszenen in Pablo Larrains "Ema" und Gaspar Noés "Climax" durchaus mithalten können, von Begehren und Sehnsucht, aber auch von Zurückweisung und Distanz.
Unterbrochen werden diese Tanzszenen nicht nur von Anweisungen der Choreographin aus dem Zuschauerraum, sondern auch von Gesprächen der Tänzer*innen, in denen sie sich über die Backstory zu ihrer Figur, aber auch über Verbindungen zwischen ihrem Leben und ihrer Rolle unterhalten. Durchaus interessante Einblicke in die Persönlichkeit der Tänzer*innen bieten diese Szenen, aber wirklich haften bleiben doch vor allem die ungemein sinnlichen Tanzszenen, die auch von den Möglichkeiten und der Intensität der Körpersprache erzählen.
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