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AutorenbildWalter Gasperi

Diagonale ´21: Divergierende Narrative

Aktualisiert: 14. Juni 2021


Me, We (David Clay Diaz) © coop99

Vier Protagonist*innen, vier Geschichten, vier unterschiedliche Positionen zu Flüchtlingen in David Clay Diaz´ Spielfilm "Me, We". Dem fiktionalen Blick auf die Gegenwart steht der dokumentarische auf die Vergangenheit in Fabian Eders "Der schönste Tag" gegenüber. Aber auch Eder deckt in Zeitzeugengesprächen auf, dass es ganz unterschiedliche Narrative über die NS-Zeit gibt.


Mittendrin ist man im zweiten Spielfilm des in Paraguay geborenen David Clay Diaz`, wenn im Schwimmbad der junge Österreicher Marcel und eine Freunde auf Migranten losgehen, weil sie glauben österreichische Mädchen vor den Ausländern schützen zu müssen. Zupackend ist die Inszenierung, erzeugt mit naher Handkamera und schnellem Schnitt Unmittelbarkeit und Spannung, aber auch die natürlich agierenden jungen Schauspieler und die Dialoge wirken echt und evozieren eine authentische Atmosphäre.


Nachrichten über Verbrechen von Asylanten und ausländerfeindliche Wahlplakate schüren die Ressentiments der Jugendlichen, die unter Führung von Marcel bald einen Security-Dienst anbieten, bei dem sie jungen Frauen Geleitschutz anbieten. Gegenpol zu diesen Jugendlichen ist die junge Marie, die auf die griechische Insel Lesbos aufbricht, um hier für eine NGO in einem Durchgangslager für Flüchtlinge zu helfen.


Die TV-Redakteurin Petra wiederum nimmt einen vermeintlich 17-jährigen Syrer in ihrer Wohnung auf, um ihn mit Österreich vertraut zu machen, presst ihn dabei aber zunehmend in ihre Welt, bis der Asylant preisgibt, dass er nicht aus politischen Gründen aus Syrien, sondern aus wirtschaftlichen aus Marokko geflohen ist und kein Jugendlicher mehr ist. Und schließlich gibt es da noch den Leiter eines Flüchtlingsheims, der zunehmend mit einem afrikanischen Migranten in Konflikt gerät.


Ein facettenreiches und ambivalentes Bild von Positionen zu Flüchtlingen zeichnet Clay Diaz mit diesen vier Geschichten und zeigt, wie auch beste Absichten leicht ins Negative kippen können. Kraftvolles sozialrealistisches Kino ist das in den besten Momenten, das an Robert Altman erinnernde polyphone Erzählen vermag aber nicht ganz zu überzeugen. Denn außer dem Thema "Wir und die Flüchtlinge" gibt es dramaturgisch keine Verknüpfungen zwischen den einzelnen Geschichten. Problemlos könnte man "Me, We" auch als Episodenfilm anlegen und die vier Geschichten hintereinander erzählen, ihre Verzahnung durch die Montage ist nicht zwingend und dient vor allem dazu mit häufigen Szenenwechsel die Spannung hochzuhalten.


Wie unterschiedlich die Narrative zur NS-Zeit sein können, macht Fabian Eder in seinem Dokumentarfilm "Der schönste Tag" gebündelt schon in der ersten Einstellung deutlich. Während hier auf der visuellen Ebene die 1978 in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau von Österreich eröffnete Ausstellung "11. März 1938: Österreich – Erstes Opfer des Nationalsozialismus" abgebaut wird, hört man auf der Tonspur Ausschnitte aus Hitlers berüchtigter Rede auf dem Wiener Heldenplatz, die von frenetischem Beifall der Massen und "Sieg Heil!"-Rufen begleitet wird.


Wie hier der Inszenierung Österreichs als Opfer die Mittäterschaft gegenübersteht, so divergieren auch die Blicke von Überlebenden des Holocaust und Angehörigen von Mitläufer-Familien. Fabian Eder lässt diese Zeitzeugen, die damals teilweise noch Kinder waren, auf Zugfahrten, die einerseits Assoziationen an die NS-Deportationszüge wecken, andererseits mit ihren geschlossenen Abteilen einen öffentlichen, aber doch intimen Raum bilden, ihren Enkel*innen bzw. in einem Fall auch sich selbst über ihre Erfahrung der NS-Zeit erzählen.


Gleichzeitig spürt "Der schönste Tag" auch mit der Frage nach der Neugestaltung der österreichischen Ausstellung in Auschwitz-Birkenau dem Umgang mit der Vergangenheit nach und lässt auch hier unterschiedliche Positionen der Leitung der Gedenkstätte und Österreichs aufeinandertreffen. Aber auch in der Gegenüberstellung der Verwilderung des jüdischen Friedhofs in Wien auf der einen Seite und einer bierseligen Gedenkfeier zu Ehren der gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege im kärntnerischen Ulrichsberg sowie Bildern der heutigen Holocaust-Gedenkstätten und einer offiziellen Feier zur Befreiung Österreichs am 8. Mai 1945, fragt Eder nach dem Umgang mit Geschichte und Erinnerung.


Wichtig ist dieser Film, da die Zeitzeugen, die davon berichten können immer weniger werden. Deutlich macht "Der schönste Tag" dabei auch, dass nicht nur offiziell nach einer kurzen Zeit der Verfolgung von Nationalsozialisten ab den späten 1940er Jahren bis zur Waldheim-Affäre in den 1980er Jahre die NS-Zeit unter den Tisch gekehrt wurde, sondern dass auch weder überlebende Opfer noch Mitläufer über diese Zeit sprachen. Erst der zweiten Generation, also ihren Enkel*innen scheinen sie sich diesbezüglich öffnen zu können. – Nach "Endphase" beim Linzer Filmfestival Crossing Europe ist "Der schönste Tag" damit innerhalb kurzer Zeit ein weiterer Film, der wichtige Erinnerungsarbeit leistet, aber auch die Vielstimmigkeit von Erinnerungen und des Blicks auf geschichtliche Ereignisse thematisiert.


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