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Das tiefste Blau - O último azul

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 19 Stunden
  • 3 Min. Lesezeit
"Das tiefste Blau - O último azul": Warmherzige Tragikomödie über eine Seniorin, die auf dem Amazonas das Leben neu entdeckt
"Das tiefste Blau - O último azul": Warmherzige Tragikomödie über eine Seniorin, die auf dem Amazonas das Leben neu entdeckt.

In einem zukünftigen Brasilien werden alte Menschen zwangsweise in eine Kolonie abgeschoben. Die 77-jährige Tereza widersetzt sich aber diesem Befehl und bricht zu einer Reise auf dem Amazonas auf: Atmosphärisch dichtes, melancholisches und warmherziges Flussmovie, das von seiner großartigen Hauptdarstellerin Denise Weinberg getragen wird.


Flugzeuge kreisen über der am Amazonas gelegenen Kleinstadt und verkünden über Lautsprecher und Banner: "Die Zukunft gehört allen". Geehrt wird auch Tereza (Denise Weinberg) für ihre 77 Lebensjahre mit Lorbeerkranz um die Haustür und Medaille, muss aber auch peinliche Fragen der Beamtin zu Gehhilfe, Windeln und selbstständiger Körperpflege über sich ergehen lassen.


Die Seniorin fühlt sich nämlich noch topfit, arbeitet auch noch in einer Krokodilschlachterei als Reinigungskraft und tritt selbstbewusst auf. An Rente denkt sie nicht, wird aber zwangspensioniert und auch die Behörde meldet sich: Wurden bislang nämlich Menschen über 80 zwangsweise in entlegene Kolonien abgeschoben, so wurde das Alter dafür vor kurzem auf 75 herabgesetzt.


Offiziell heißt es, dass die jüngere Generation damit entlastet und von der Fürsorgepflicht für die Eltern befreit werden soll, in Wahrheit geht es aber um die Steigerung der Produktivität.


Tereza schaudert aber davor zurück, in einem Käfig auf einem Pickup zur Verladestelle in Busse transportiert zu werden. Vielmehr möchte sie noch ihren Traum von einem Flug verwirklichen - ein Motiv, das an den Wunsch des alten Knechts in Yves Yersins "Les petites fugues" ("Kleine Fluchten", 1979) erinnert und natürlich auch eine universelle Metapher für Freiheit ist.


Doch ohne Zustimmung ihrer Tochter ist Tereza praktisch handlungsunfähig. Weder kann sie ein Flug- noch ein Schiffsticket kaufen, sodass sie sich gegen entsprechende Bezahlung von einem heruntergekommenen Kapitän auf seinem klapprigen Kutter illegal zu einem privaten Flugfeld im Amazonasdschungel bringen lassen will….


So entwickelt sich ein Flussmovie mit Begegnungen und Erfahrungen, die Tereza das Leben neu entdecken lassen. Das enge 4:3-Format in dem Gabriel Mascaro gedreht hat, macht dabei die Enge spürbar, die das Leben der alten Menschen bestimmt. Die nahen Aufnahmen, die dabei dominieren, rücken die Menschen ins Zentrum, während Bilder von der Flussfahrt immer wieder ein Gefühl der verweigerten Weite wecken.


Wenn immer wieder vom Geld die Rede ist und die Männer, denen Tereza auf ihrer Reise begegnet, sie abzocken wollen, dann erzählt Mascaro beiläufig auch von einer kapitalistischen Gesellschaft, der die Menschlichkeit abhandengekommen ist. Aber auch Kritik an Korruption wird geübt, wenn bald klar wird, dass Reiche ihre Abschiebung in die Kolonie gegen entsprechende Bezahlung verhindern können.


Die Befreiung Terezas korrespondiert dabei auch mit einer Bewegung von einer tristen Küstenstadt in die wild wuchernde Natur des Amazonasdschungels, die Kameramann Guillermo Garza in Bildern einfängt, die "O último azul" eine ganz eigene, magische Stimmung verleihen. Im Kontrast zwischen der Natur und der tristen Kleinstadt, in der Tereza lebt, sowie den desolaten Siedlungen am Fluss, die auf der Reise passiert werden, kann auch eine beiläufige Kritik an der neoliberalen Wirtschaftspolitik des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro gelesen werden.


Im Zentrum steht aber wie in der Dystopie "Plan 75" der Japanerin Chie Hayakawa, in der der Staat im Kampf gegen die Überalterung der Gesellschaft den Suizid von Menschen über 75 propagiert und fördert, die Kritik am Umgang mit alten Menschen. Dennoch entwickelt sich kein bedrückendes Drama, sondern eine warmherzige Komödie, die wie beispielsweise auch Alexander Paynes "About Schmidt" von einem Aufbruch im Alter erzählt und das Leben feiert.


Keine große Dramatik baut der 42-jährige Brasilianer dabei auf, sondern erzählt lakonisch und unprätentiös. Sein Film lebt von Begegnungen und kleinen Szenen und einer in jeder Szene spürbaren Empathie für seine widerständige Protagonistin.


Ein Glücksgriff ist dabei die Besetzung der Hauptrolle mit Denise Weinberg. So bewegend vermittelt die 69-jährige Schauspielerin Terezas Selbstbewusstsein und Widerstandswillen ebenso wie Momente der Resignation, dass einem diese Seniorin rasch ans Herz wächst. Leise, aber mit Verve ruft Mascaro so zu Widerstand gegen die unmenschlichen staatlichen Befehle auf, setzt dem Stillstand in der Kolonie die Bewegung entgegen, die zu stets neuen belebenden Erfahrungen führt und sich mit dem Schlussbild über das Ende des Films fortsetzt.

 

Das tiefste Blau - O último azul

Brasilien / Mexiko / Chile / Niederlande 2025

Regie: Gabriel Mascaro

mit: Denise Weinberg, Rodrigo Santoro, Miriam Socarrás, Adanilo, Rosa Malagueta, Clarissa Pinheiro

Länge: 85 min.



Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.

Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 10.11., 18 Uhr + Mi 19.11., 20 Uhr FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 10.12., 18 Uhr + Do 11.12., 19.30 Uhr



Trailer zu "Das tiefste Blau - O último azul"


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