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  • AutorenbildWalter Gasperi

Broker


Hirokazu Koreeda arbeitet sich ein weiteres Mal an Familienkonstellationen ab: Zwei Kleingauner stehlen ein abgelegtes Baby, um es zu verkaufen, doch bald mischen auch die Mutter und zwei Polizistinnen mit. – Gewohnt feinfühlig, voll Empathie und mit wunderbar ambivalenten Charakteren.


Seit "Nobody Knows" (2004), in dem sich vier Kinder in einer Stadtwohnung selbst organisieren, nachdem sie von ihrer Mutter verlassen wurden, kreisen die Filme Hirokazu-Koreedas immer wieder um Familiensituationen: Ein Familientreffen stand im Zentrum von "Still Walking" (2008), zwei Familien aus gegensätzlichen gesellschaftlichen Milieus und die Frage nach biologischer und emotionaler Elternschaft bestimmten "Like Father, Like Son" (2013), und das Zusammenleben von vier Schwestern wurde in "Our Little Sister" (2015) geschildert.


Von der sehr unkonventionellen Patchwork-Familie in dem mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichneten "Shoplifters" (2018) ging es dann zu einer Mutter-Tochter-Beziehung im französischen "La Vérité" und nun hat Koreeda erstmals in Südkorea gedreht. Grund für diesen Wechsel ins asiatische Nachbarland ist, dass es in ganz Japan nur eine einzige Babyklappe gibt, in Südkorea die Thematik Babyklappe und Adoption dagegen deutlich offener thematisiert wird.


Die Meisterschaft des 60-jährigen Japaners zeigt sich schon darin, wie rasch es ihm in der Exposition gelingt, die Aufmerksamkeit der Zuschauer:innen zu gewinnen. Nur wenige Minuten benötigt er, um die Protagonist:innen vorzustellen und das Grundgerüst des Films zu etablieren.


Da gibt es eine junge Mutter (Lee Ji Eun), die nachts bei strömendem Regen ihr Baby vor einer Babyklappe ablegt, eine Polizistin (Bae Doona), die das Baby in die Klappe legt und ein Mitarbeiter (Gang Dong Won) der kirchlichen Baby-Hilfsorganisation, der das Baby beiseite schafft, um es mit seinem älteren Bekannten (Song Kang Ho) gegen entsprechende Bezahlung Paaren anzubieten, die ein Kind adoptieren möchten.


Als die Mutter wenig später das Baby zurück möchte und dessen Verschwinden der Polizei meldet, weihen die beiden Menschenhändler die Frau in ihren Plan ein. Weil sie einen Anteil des Erlöses erhalten soll, spielt sie mit und ein Roadmovie durch Südkorea beginnt. Wie die Mutter damit als zerrissene Frau erscheint, gewinnen auch die beiden Ganoven zunehmend ambivalentere Züge. Scheinen sie nämlich zunächst nur hinter dem Geld her zu sein, stellt sich zunehmend heraus, dass sie wie die Mutter nur das Beste für das Baby wollen und so auch nicht alle Adoptiveltern akzeptieren.


Dazu kommt, dass Koreeda sukzessive Einblick in den biographischen Hintergrund des Trios bietet. Während so der ältere Mann unter dem Zerbrechen seiner Familie leidet und gleichzeitig von Gangstern wegen Schulden unter Druck gesetzt wird, möchte der Jüngere dem Baby ersparen, dass es wie er selbst in einem Waisenhaus aufwächst. Sorge um ihr Kind bestimmt aber auch zunehmend das Verhalten der Frau.


Langsam bildet sich so auf der Reise eine Art Ersatzfamilie, die durch das Baby verbunden wird und die durch einen weiteren Jungen, der ihnen aus einem Waisenhaus heimlich folgt, vergrößert wird. Gebeutelt von schlimmen Erfahrungen sind sie sich gegenseitig Stütze und erfahren durch die Gemeinschaft Glück und Wärme. Dazu kommen aber noch die beiden Polizistinnen, die den Ganoven und der Frau folgen und das Trio bei dem Verkauf des Kindes verhaften wollen, aber auch ein Mord spielt zunehmend in die Handlung herein.


Etwas überkonstruiert mag das sein, doch der feine und sorgfältige Aufbau des Films, vor allem aber Koreedas tiefe Menschlichkeit lassen locker darüber hinwegsehen. Denn wie gewohnt versteht es der Japaner meisterhaft, die Handlung langsam, aber mit genauem und empathischem Blick auf die Menschen zu entwickeln. Trotz der ernsten Themen bewahrt "Broker", der mit den fürsorglichen Ganoven an den klassischen Western "Three Godfathers" und die japanische Animé-Variante "Tokyo Godfathers" erinnert, dabei durch die feinfühlige und zarte Inszenierung Leichtigkeit und strahlt durch die in warme und weiche Farben getauchten Bilder Wärme aus.


Leicht könnte das in Kitsch abgleiten, doch dies verhindert Koreedas Gespür für leisen Humor und die wunderbar vielschichtige und ambivalente Figurenzeichnung. Da gibt es kein Schwarz und Weiß, sondern jede der auch großartig besetzten Figuren hat ihre positiven Seiten, aber auch dunkle Flecken und ist trotz allem liebenswert. Schon fast zu weit treibt es dieser Humanist des Kinos angesichts der Ausgangssituation mit dieser Liebenswürdigkeit.


Aber "Broker" berührt eben gerade mit dieser zarten, aber eindringlichen Feier der Menschlichkeit, des sozialen Kontakts und der Gemeinschaft, die Wärme und Schutz in bedrückender gesellschaftlicher und privater Situation bietet und zumindest vorübergehend bittere Erfahrungen, Enttäuschungen und Einsamkeit vergessen und optimistisch in die Zukunft blicken lässt.


Broker Südkorea 2022 Regie: Hirokazu Koreeda mit: Song Kang-ho, Dong-won Gang, Bae Doona, Ji-eun Lee, Lee Joo-young, Kang Gil-woo, Park Hae-joon Länge: 1291 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.G. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan


Trailer zu "Broker"



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