Drehbuchautoren genießen zumeist ein Schattendasein, doch Wolfgang Kohlhaase bildet eine Ausnahme: Sein Name wird oft in einem Atemzug mit den Regisseuren Konrad Wolf, Frank Beyer oder Andreas Dresen, für die er die Drehbücher unter anderem zu "Ich war Neunzehn" oder "Sommer vorm Balkon" schrieb, genannt. - Am 13. März feiert der gebürtige Berliner seinen 90. Geburtstag.
"Wir haben gedacht, Sie sind schon über alle Berge", äußert der Polizist am Ende von Frank Beyers "Der Bruch" (1989) verwundert, als auch der letzte der drei Ganoven gefasst wird. Dieser von Otto Sander gespielte Bankräuber antwortet aber trocken: "Was soll ich denn da, ich bin doch ein Berliner." Wahrscheinlich hat Wolfang Kohlhaase bei diesem Dialog auch an sich selbst gedacht, denn untrennbar sind viele seiner Filme mit der deutschen Hauptstadt verbunden.
Hier wurde er als Sohn eines Maschinenschlossers am 13. März 1931 geboren, besuchte Volks- und Mittelschule und schrieb ab 1947 im sowjetisch besetzten Osten der Stadt für die kommunistische Jugendzeitschrift "Start" und dann für die Zeitung "Junge Welt", ehe er ab 1952 als freischaffender Drehbuchautor und Schriftsteller arbeitete.
Vom genauen Blick fürs Milieu und die Figuren leben seine Geschichten, im Regisseur Gerhard Klein fand er nach dem Jugendfilm "Die Störenfriede" (Regie: Wolfgang Schleif), für den er 1953 sein erstes Drehbuch schrieb, einen ersten kongenialen Partner. Nach den "Berlin-Filmen" "Alarm im Zirkus" (1954), in dem zwei Westberliner Jungen wertvolle Pferde aus einem Ostberliner Zirkus stehlen wollen, und "Berliner Romanze" (1956), der von einer Liebe zwischen einem Westberliner und einer Ostberlinerin handelt, gelang dem Duo mit "Berlin – Ecke Schönhauser…" (1957) sein wohl stärkster Film.
Als ostdeutsches Gegenstück zu den westlichen Halbstarken-Filmen legten sie dieses Sozialdrama an. Sichtlich beeinflusst vom Neorealismus fangen Klein und Kohlhaase atmosphärisch dicht das Milieu ein, zeichnen präzise die von der Elterngeneration unverstandenen Jugendlichen, die nach Orientierung und ihrem Platz im Leben suchen und machen mit dem Traum eines Mädchen von Marlon Brando und der Lust an Rock´n´Roll ihre Sehnsüchte erfahrbar. Einzig das Ende, bei dem die Überlegenheit des kommunistischen Systems propagiert werden soll, überzeugt nicht ganz.
Angetan hat es Kohlhaase offensichtlich der Ortsteil Prenzlauer Berg, in dem "Berlin – Ecke Schönhauser…" spielt, denn nicht nur gut 20 Jahre später ließ er in Konrad Wolfs "Solo Sunny" (1980), bei dem er auch Co-Regie führte, die Protagonistin hier wohnen, sondern auch Andreas Dresens nochmals 15 Jahre später entstandener "Sommer vorm Balkon" (2004) spielt hier. Von der jungen DDR über den schon verkrusteten Staat, in dem nicht nur die Fassade des alten Wohnblocks zerbröckelt, in dem die nicht mehr ganz junge Schlagersängerin lebt, bis zum wieder vereinten Deutschland – und über fast 50 Jahre - spannt sich so der Bogen.
Gemeinsam ist diesen drei Filmen aber das Interesse für und der genaue Blick auf durchschnittliche Leute und ihre Lebensbedingungen. Ungeschminkt schildern Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase so in "Solo Sunny" den DDR-Alltag und die Hindernisse, gegen die sich eine Frau, die sich nicht anpassen, sondern in Privatleben und Beruf ihren Weg gehen will, durchsetzen muss. Und trotz der Niederschläge verfällt dieser Film nie in Verzweiflung, sondern lässt seine Protagonistin immer wieder aufstehen und feiert ihre Standfestigkeit.
Nach Klein und Wolf fand Kohlhaase in Andreas Dresen, der in seinen Filmen immer wieder dem Leben quasi bei der Arbeit zuschaut, den dritten kongenialen Partner. Weil weder Dresens noch Kohlhaases Sache das große Drama ist, passiert auch in "Sommer vorm Balkon" im Grunde nichts Besonderes, doch der genaue und von Empathie getragene Blick auf die Freuden und Leiden zweier Berliner Freundinnen macht diese Dramödie zu einem beglückenden Erlebnis. Wie eine Reminiszenz an den Philosophen Ralph in "Solo Sunny" wirkt dabei auch schon rein physisch der LKW-Fahrer Ronald, in den sich die ostdeutsche Altenpflegerin Nike verliebt.
Immer wieder arbeitete sich Kohlhaase in seinen Drehbüchern aber auch an der deutschen Geschichte ab. Stark von autobiographischen Erfahrungen Konrad Wolfs ist so "Ich war Neunzehn" (1968) geprägt, in dem ein junger Deutscher – wie Wolf einst selbst – nach zwölf Jahren Exil in Moskau mit den Sowjettruppen gegen Kriegsende in seine einstige Heimat zurückkehrt. Reportagehaft ist der Stil mit der Aneinanderreihung einzelner Szenen und der Gliederung durch Datumsinserts, aber gerade dadurch gewinnt dieser Schwarzweißfilm, der in einer Fülle von Szenen ein eindrückliches Bild der Stimmung im geschlagenen Deutschland zeichnet, ein hohes Maß an Authentizität und vermeidet Pathos und Sentimentalität.
Mit seinem langjährigen Freund Konrad Wolf arbeitete Kohlhaase auch bei "Der nackte Mann auf dem Sportplatz" (1974), in dem der DDR-Alltag satirisch aufs Korn genommen wird, und "Mama, ich lebe" (1977), der von vier jungen deutschen Soldaten handelt, die in den Reihen der sowjetischen Armee gegen die Wehrmacht kämpfen, zusammen.
Auch Frank Beyers Gaunerkomödie "Der Bruch" (1988) vermittelt eindrücklich Kohlhaases Qualitäten als Drehbuchautor. Die Inszenierung mag nicht gerade einfallsreich sein, aber nicht nur der warmherzige Blick auf die mit Otto Sander, Götz George und Rolf Hoppe ideal besetzten Protagonisten, sondern auch die trefflich gezeichneten Nebenfiguren, hervorragende Dialoge und die stimmige Einbettung ins Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit machen den auf einem wahren Fall beruhenden Film über einen großen Banküberfall zu einem Vergnügen.
Nach der Wende wurde es für rund zehn Jahre zwar ziemlich ruhig um den Berliner, doch ab der Jahrtausendwende, als er die 70 schon überschritt, meldete er sich vor allem mit seinen Arbeiten für Dresen nachdrücklich zurück. Nicht nur für "Sommer vorm Balkon" schrieb er das Drehbuch, sondern auch zu der im Filmmilieu spielenden melancholischen Komödie "Whisky mit Wodka" (2009) und zu "Als wir träumten" (2015), in dessen Mittelpunkt fünf Leipziger Jugendfreunde stehen, deren Träume in der Nachwendezeit zerplatzen.
Auch als Co-Regisseur hat er im Laufe seiner über 60-jährigen Karriere mehrfach gearbeitet und hat auch Hörspiele und Erzählungen geschrieben, von denen "Erfindung einer Sprache" unter dem Titel "Persischstunden" (2020) verfilmt wurde und im letzten Jahr erfolgreich im Kino lief.
Passend zu seinem 90. Geburtstag am 13. März erscheint bei Icestorm Entertainment eine Edition mit zwölf DEFA-Spielfilmen, an denen Wolfgang Kohlhaase mitarbeitete. Interviews mit dem Jubilar zu den einzelnen Filmen fehlen beim Bonusmaterial ebenso wenig wie Kohlhaases Buch "Um die Ecke in die Welt – Über Filme und Freunde" und ein Booklet mit einem Essay von Regine Sylvester sowie einer Filmografie von Ralf Schenk.
Trailer zur "Wolfgang Kohlhaase Jubiläums Edition zum 90. Geburtstag"
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