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  • AutorenbildWalter Gasperi

Persischstunden


Weil sich ein belgischer Jude als Perser ausgibt, wird er nicht hingerichtet, sondern soll im KZ einen SS-Offizier in Farsi unterrichten. So entwickelt sich in Vadim Perelmans spannendem Drama eine ungewöhnliche Lehrer-Schüler-Beziehung, bei der aber immer auch an die Schrecken der Shoa erinnert wird.


Das Insert "Von wahren Ereignissen inspiriert" hat Vadim Perelman seiner Verfilmung von Wolfgang Kohlhaases 2005 erschienener Kurzgeschichte "Erfindung einer Sprache" vorangestellt. Tatsächlich hat sich diese Geschichte freilich nie so zugetragen, aber laut Perelman gibt es "hunderte ähnliche Geschichten, in denen Menschen durch Witz und Verstand den Nazi-Terror überlebten".


Mit einer den Film eröffnenden Frage nach der Zahl der Menschen, die das in Frankreich gelegene Durchgangslager passierten, schafft Perelman nicht nur eine erzählerische Klammer, zu der "Persischstunden" erst am Ende zurückkehrt, sondern macht die ganze folgende Geschichte auch zu einer Erinnerung des belgischen Juden Gilles (Nahuel Pérez Biscayart). Gleichzeitig bringt so auch die Erzählstruktur ein zentrales Thema von "Persischstunden" ins Spiel, denn nur dank einer phänomenalen Gedächtnisleistung konnte Gilles überleben, andererseits konnte er damit auch die Erinnerung an die ermordeten Juden bewahren.


Nur knapp entgeht er selbst der Erschießung in einem französischen Wald, indem er sich frühzeitig fallen lässt und dann erklärt, er sei kein Jude, sondern Perser. Mit einem kurz zuvor eingetauschten Buch "Die Mythen der Perser" überzeugt er die beiden Soldaten, die zudem auf die Fleischkonserven aus sind, die der Lagerkoch Hauptsturmführer Koch (Lars Eidinger), dem versprochen hat, der ihm einen "echten Perser" bringt. Koch möchte nämlich Farsi lernen und nach Kriegsende in Teheran ein Restaurant eröffnen.


So holt er Gilles, der sich Reza nennt, zu sich und trägt ihm auf ihn jeden Tag 40 neue Vokabeln zu lehren. Jeder Fehler kann dabei für Reza das Todesurteil bedeuten und zudem intrigiert nicht nur ein Unteroffizier, sondern auch eine Aufseherin, weil Reza sie als Schreiber ersetzt, gegen ihn.


Dichte entwickelt dieses Drama einerseits durch die Konzentration auf das Lager als die Welt dieses Films, andererseits durch die beklemmende Atmosphäre, die kaltes Licht und weitgehende Reduktion der Farbpalette auf kalte Blau- und Grautöne evozieren. Wenige markante Kontrapunkte dazu setzen in warme Farben getauchte Feste der Nazis.


In diesem geschlossenen Raum fokussiert Perelman zwar auf der fragilen und ambivalenten Beziehung zwischen Koch und Reza, erinnert mit Bildern vom Abtransport von nackten Leichen zu einem rauchenden Schlot, Erschießungen auf dem Hauptplatz, qualvolle Arbeit im Steinbruch oder der Deportation aller anderen Lagerinsassen in den Osten aber immer auch beklemmend an die Schrecken der Shoa.


Immer wieder droht Gefahr, dass Rezas Täuschung auffliegt. Mehrfach brechen dabei nicht nur hinter Kochs jovialem Auftreten sein Jähzorn und seine Aggressionen durch, sondern er lässt auch bei dieser ungewöhnlichen Beziehung, bei der der Täter gleichzeitig Schüler und das Opfer Lehrer ist, in sein Inneres blicken. Bezeichnend ist, dass er dabei nur in der erfundenen fremden Sprache über seine Kindheit und persönliche Gefühle sprechen kann, in seiner Rolle als Hauptsturmführer kann er dagegen keine Schwäche zeigen.


Großartig spielt Lars Eidinger diesen vielschichtigen Charakter und harmoniert perfekt mit Nahuel Pérez Biscayarts Reza. Um diese Beziehung herum bietet Perelman anhand ebenfalls treffend besetzter Nebenfiguren aber auch Einblick in die Hierarchie der Lagermannschaft, bei der jeder gegen jeden intrigiert und schließlich immer wieder der Schwächste die Rechnung zahlt. Deutlich wird dies nicht nur in einer Szene, in der eine Aufseherin aus Frust und Wut über ihre Degradierung einer in der Küche arbeitenden Jüdin die Hand auf eine heiße Herdplatte drückt.


Während in der Beziehung von Koch und Reza angesichts des Selbstbewusstseins, das der Häftling gegenüber dem Offizier entwickelt, auch komödiantische Momente nicht fehlen, lässt andererseits die Kontrastierung von feiernden Nazis und dem Abtransport von Juden die Barbarei des NS-Regimes nicht vergessen. Wie Perelman den Balanceakt zwischen der individuellen Geschichte Rezas, die auch Hoffnung verbreitet, und dem Massenmord sicher bewältigt und in jeder Szene stimmig und rund erzählt, macht "Persischstunden" zu einem weiteren starken und überzeugenden Beitrag in der inzwischen langen Liste der filmischen Auseinandersetzungen mit der Shoa.


Läuft derzeit im Cinema Dornbirn und im Kino Rio in Feldkirch. Ab 1.10. in den Schweizer Kinos - z.B. im Kinok in St. Gallen


Trailer zu "Persischstunden"



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