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  • AutorenbildWalter Gasperi

Belle


Im Alltag ein unsicherer Teenager, in der virtuellen Welt ein Star. – Souverän pendelt Mamoru Hosoda in seinem visuell berauschenden Animé zwischen den Ebenen, bietet großes Kino und erzählt gleichzeitig bewegend von Traumata, Selbstfindung und von Nutzen ebenso wie von Gefahren von Internet und Sozialen Netzwerken.


Die 17-jährige Suzu ist ein einsamer und unsicherer Teenager, der im ländlichen Japan eine Highschool besucht. Seit dem frühen Tod der Mutter, die bei dem Versuch ein anderes Kind vor dem Ertrinken zu retten umkam, ist sie in Trauer versunken, hat sich zurückgezogen und spricht auch kaum mehr mit ihrem Vater. In einer Rückblende fasst Hosoda das traumatische Geschehen zusammen und zeigt das Unverständnis nicht nur Suzus, sondern auch der Umwelt darüber, dass eine Mutter für ein fremdes Kind ihr Leben gibt und damit ihr eigenes allein zurücklässt.


Schon in diesem Auftakt zeigen sich nicht nur Hosodas Kunst, sondern auch die Vorzüge eines Animé gegenüber einem Realfilm: Meisterhaft verdichtet werden können Szenen und Themen, die in einem Realfilm in der Verkürzung plump wirken würden. Gleichzeitig verleiht die Poesie des Gezeichneten auch schweren Themen Leichtigkeit, ohne dass sie an berührender Kraft einbüßten.


Beneidet werden von Suzu und ihrer einzigen Freundin Hiro die Mitschülerin Luca, die nicht nur toll singen kann, sondern auch super aussieht und der Top-Sportler Kashimi. Zur Trauer Suzus kommt damit auch ein Minderwertigkeitskomplex und eine Unsicherheit, doch dann erhält sie von ihrer Freundin den Link zur virtuellen Welt von U.


Schon in der Pre-Title-Sequenz hat Hosoda nicht nur die Welt dieses Sozialen Netzwerks mit seinen fünf Milliarden Mitgliedern in einem Farbenrausch vorgestellt, sondern auch deren Star, die Sängerin Belle. Der Name des Spiels „U“ – oder eben: you - verweist dabei auch auf die zweite Identität der Mitglieder. Diese kann man nicht selbst wählen, sondern sie wird vom Computerprogramm aufgrund biometrischer Daten des Spielers erstellt. In der virtuellen Welt fallen aber Suzus Ängste weg und sie ist als Avatar, was sie im realen Leben nicht ist: schön wie Luca und eine von allen gefeierte Sängerin.


Gegenspieler zu dieser Lichtgestalt scheint ein finsteres „Biest“ zu sein, das von den selbst ernannten Ordnungshütern gejagt wird. Doch Belle erkennt, dass sich hinter dem „Biest“ ein liebenswertes, innerlich schwer verwundetes Wesen versteckt, während die scheinbar guten Verteidiger der heilen Welt in Wirklichkeit nur nach Kontrolle streben.


Schon der Titel „Belle“ weckt Assoziationen an den Klassiker „La belle et la bête – Die Schöne und das Biest“. Gezielt transponiert Hosoda diese unverwüstliche Geschichte in die Computerwelt, zitiert sie mit der Beziehung von Belle und dem Drachen, scheint aber mit dem abgelegenen Schloss, in das sich dieser Drache immer wieder zurückzieht auch Hayao Miyazakis „Das wandelnde Schloss“ seine Reverenz zu erweisen.


Nach Filmen wie „Summer Wars“ (2009) und „Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft“ (2018) wird im 1967 geborenen Hosoda vielfach der Nachfolger des 82-jährigen Großmeisters des Animé gesehen. Nicht verstecken müssen sich seine Filme hinter denen Miyazakis, bieten wie diese Actionspektakel mit den Kämpfen zwischen dem Drachen und den Ordnungshütern, lassen aber in der Beziehung zwischen Belle und dem Drachen auch die Gefühle nicht zu kurz kommen.


Der ökologische Aspekt, der die Filme Miyazakis durchzieht, fehlt bei Hosoda zwar, dafür geht es immer wieder bewegend um die Schwierigkeiten des Coming-of-Age, um Verlust, Trauer, um Minderwertigkeitsgefühle und die langsame Entwicklung von Selbstbewusstsein.

Leichthändig verschränkt Hosoda dabei realistische Schilderung des Alltags Suzus und die farbenprächtige, an fantasievollen Figuren überbordende Welt von U. Denn Suzu / Belle und ihre Freundin erkennen, dass sich im Drachen reale Ängste und Traumata seines Avatars manifestieren und dieser nur gerettet werden kann, wenn sie dessen wahre Identität lüften.


So muss auch Suzu lernen ihre Ängste zu überwinden, Selbstvertrauen entwickeln und nicht nur hinter der Maske von Belle, sondern auch als sie selbst vor großem Publikum singen. Wie die Massen dabei beginnen mitzusingen und sich die Leinwand langsam mit gelben Lichtpunkten oder leuchtenden Herzen füllt ist nicht der einzige magische Kinomoment in diesem meisterhaften Animé.


Und bei aller Farbenpracht, bei aller Liebe zum Detail und der großartigen Evokation der Computerwelt verliert „Belle“ doch nie die Bodenhaftung, sondern bleibt immer nah an den realistisch und berührend geschilderten realen Problemen von Kindern und Jugendlichen. Auch schwere Brocken wie Kindesmissbrauch spart Hosoda dabei nicht aus, zeigt aber auch mit einem starken und einprägsamen Kinobild, wie diesem mit entschlossenem Auftreten Einhalt geboten werden kann.


Vielschichtig ist „Belle“ aber auch im Blick aufs Internet und die Sozialen Netzwerke. Denn einerseits zeigt Hosoda, wie Suzu in diesem Paralleluniversum über ihren Avatar ihr Selbstbewusstsein stärkt, andererseits aber auch, wie die Follower Stimmung machen, Stars aufgebaut und andere User gemobbt und niedergemacht werden.


Schon ein Wunder ist es, wie leichthändig Hosoda diese Fülle an ernsten Themen verknüpft und wie souverän er mitreißende, visuell berauschende Unterhaltung mit realistischer Teenagergeschichte zu einem echten filmischen Glücksfall verbindet. – Zu hoffen bleibt freilich, dass auch ein möglichst großes Publikum diesen Film, der Jugendlichen ab etwa 14 Jahren ebenso wie Erwachsenen viel zu bieten hat, entdeckt.


Belle Japan 2021 Regie: Mamoru Hosoda

Animé

Länge: 121 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Skino Schaan, Kinothek Lustenau und Cineplexx Hohenems


Trailer zu "Belle"


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