Julie bleibt still
- Walter Gasperi
- 26. Juni
- 3 Min. Lesezeit

Eine Nachwuchstennisspielerin will keine Aussagen über ihren Trainer machen, als dieser nach dem Selbstmord einer seiner Spielerinnen suspendiert wird: Mit seinem Langfilmdebüt gelang dem Belgier Leonardo van Dijl ein leiser und distanzierter, aber konzentrierter Blick auf Machtmissbrauch und Druck in der Sportwelt, der faszinierende Kraft auch dadurch gewinnt, dass er sich in seiner Zurückhaltung Eindeutigkeiten verweigert.
In langer statischer Einstellung sieht man die 16-jährige Julie (Tessa Van den Broeck) mit imaginären Bällen Aufschlag, Rückschlag und Volley trainieren. Wie der Teenager auf ihr Spiel, so ist die Kamera von Nicolas Karakatsanis auf die Protagonistin fokussiert. Auch später wird man beim Training oder bei Wettkämpfen immer nur Julie beim Aufschlagen und Retournieren sehen, immer wird die Kamera auf ihre Spielfeldhälfte blicken, nie die Gegnerinnen zeigen.
Fast nur bei diesen Spielen wird sich die Kamera auch bewegen, wird sonst vorwiegend in statischen, vorwiegend distanzierten Einstellungen Julie in der Schule oder beim Training einfangen. Verstärkt wird diese Fokussierung dadurch, dass der Hintergrund und damit auch andere Figuren meist in Unschärfe verschwimmen.
Auch die Musik der US-Amerikanerin Caroline Shaw setzt Leonardo van Dijl, der sich schon in seinem Kurzfilm "Stephanie" (2020) anhand von Turnen mit Jugendsport beschäftigte, nur an wenigen Stellen ein. Die Stille des Films korrespondiert perfekt mit dem Schweigen der von Tessa Van den Broeck gespielten Protagonistin. Vibrierende Intensität entwickelt die Darstellung der Belgierin, die selbst Tennisspielerin ist und hier ihre erste Filmrolle absolviert, durch ihr von großer Zurückhaltung geprägtes Spiel.
Erschüttert wird Julies Leben, als ihr Trainer Jérémy (Laurent Caron) nach dem Selbstmord einer seiner Spielerinnen suspendiert wird. Der Club möchte den Fall aufklären, möchte in Erfahrung bringen, was hinter der Kritik an den Trainingsmethoden Jérémys steckt, und befragt die Spielerinnen, doch gerade Julie, die ein besonders nahes Verhältnis zu Jérémy hatte, schweigt. Ablehnend verhält sie sich dagegen zunächst gegenüber ihrem neuen Trainer und pflegt nicht nur telefonischen Kontakt mit Jéremy, sondern trifft ihn auch einmal.
Doch der Fall belastet sie spürbar. Ihre schulischen Leistungen lassen nach, gleichzeitig bietet van Dijl aber auch einen präzisen Einblick in den Druck, der auf dem Weg zum Spitzensport auf den Jugendlichen lastet und zeigt, wie die unterschiedliche Behandlung der Jugendlichen Feindschaften schürt.
Denn einerseits weckt hier Neid, wie Julie als Musterspielerin hervorgehoben wird und ihre Schläge demonstrieren soll, andererseits kommt bei ihren Kolleg:innen Wut auf, wenn man ihr das Zuspätkommen durchgehen lässt, andere dagegen für solche Vergehen Liegestütze machen müssen.
Beeindruckend kühl und distanziert, aber ungemein konzentriert und mit großer stilistischer Geschlossenheit ist das inszeniert. Die Zuschauer:innen bleiben durch diese Erzählhaltung Beobachter:innen, werden nicht emotionalisiert und ins Geschehen hineingezogen und auch durch ihr Schweigen bleibt Julie eine kaum durchschaubare Figur.
Dicht vermittelt "Julie bleibt still" in der Fokussierung auf dem Teenager und dem Verzicht auf alle Effekte und dramatische Zuspitzungen die durch die Reaktionen der Bekannten sukzessive wachsende Belastung Julies und ihre quälende Suche nach dem richtigen Umgang mit den Ereignissen und den Vorwürfen gegenüber ihrem Ex-Trainer.
Bei aller Distanz ist Van Dijl dabei ganz auf Augenhöhe mit dem Teenager und macht erfahrbar, wie schwierig es für sie ist eine Entscheidung zwischen Schweigen und Aussage zu finden, gleichzeitig erzählt er aber auch von einer langsamen Reifung und Selbstfindung seiner Protagonistin.
Aufregend uneindeutig bleibt dieses subtile Drama dabei aber auch im Blick auf den Trainer, der immer wieder seine Unschuld beteuert und von Vorverurteilung spricht. Mehr angedeutet als ausformuliert wird sein Vergehen nämlich und offen bleibt, ob es sich um psychischen oder sogar physischen Missbrauch handelt.
Julie bleibt still
Belgien / Frankreich / Schweden 2024
Regie: Leonardo Van Dijl
mit: Tessa Van den Broeck, Grace Biot, Alyssa Lorette, Noah Lecloux, Pierre Gervais
Länge: 104 min.
Läuft jetzt in den österreichischen Kinos.
Trailer zu "Julie bleibt still"
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