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  • AutorenbildWalter Gasperi

Asteroid City


Wes Anderson entführt mit einem Starensemble ohne gleichen in ein US-Wüstenkaff der 1950er Jahre, erschafft mit großer Liebe zum Detail eine eigene, wunderbar skurrile Welt und erzählt im Kern doch von Verlust, Entfremdung und der Suche nach dem Sinn des Lebens.


Unverkennbar sind die Filme von Wes Anderson in ihrer Puppenkisten-Perspektive. Wie man als Zuschauer:in so nicht in das Geschehen eintaucht, sondern distanzierte/r Beobachter:in bleibt, so bleiben auch die Charaktere auf Distanz zueinander. Die Form verstärkt so den Inhalt.


Der Texaner verpackt dabei die Handlung seines elften Kinofilms noch in einen Rahmen. Schwarzweißbilder im 4:3-Format versetzen in die Mitte der 1950er Jahre. Ein TV-Moderator (Bryan Cranston) stellt einen Bühnenautor (Edward Norton) vor, dessen neuestes Stück "Asteroid City" vom Theaterregisseur Schubert Green (Adrien Brody) inszeniert werden soll.


Dieses Stück wird, gegliedert durch Inserts zu Akten und Szenen, in Breitwand und Pastellfarben präsentiert, doch immer wieder kehrt der Film auch zur Fernsehsendung über das Theaterstück und den Theaterregisseur zurück. Einerseits werden einander so die großstädtische Welt der Theaterbühnen und des Broadways und das öde Wüstenkaff immer wieder gegenübergestellt, andererseits kann man im Spiel mit dieser Metaebene auch eine Reflexion Andersons über das künstlerische Schaffen und seine eigene Arbeit sehen.


Finden sich dabei schon in der Rahmenhandlung Referenzen speziell auf Elia Kazan und dessen Verfilmung von Tennessee Williams´ "A Streetcar Named Desire", so sind die Bezüge auf das Kino und die USA der 1950er Jahre in der Binnenhandlung noch stärker. Beide Ebenen greifen aber auch ineinander, wenn der Protagonist des Stücks einmal die farbige Welt von "Asteroid City" verlässt und ins schwarzweiße Theater wechselt, um den Autor nach dem Sinn einzelner Szenen und des Stückes insgesamt zu befragen.


Die Verlorenheit der Protagonist:innen verstärkt von Anfang an das in der sandsteinfarbenen Wüste des Südwestens der USA gelegene und gerade mal 87 Einwohner:innen zählende Kaff "Asteroid City". Mehr als ein Motel, einen Diner und eine Tankstelle scheint es hier nicht zu geben.


Aber gerade hier landet der Kriegsfotograph Augie Steenback (Jason Schwartzman) nach einer Autopanne mit seinen vier Kindern ebenso wie die Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson) mit ihrer Tochter. Aber auch eine Gruppe von Weltraumkadetten hat es hierher verschlagen, gibt es doch ein Observatorium und einen Meteoriten, der vor rund 5000 Jahren - oder exakt am 23. September 3007 v. Chr. - hier einschlug.


Zu den nerdigen und superklugen Kids, die bei der Verleihung eines Wissenschaftspreis konkurrieren, kommen aber auch unter anderem der Motelbesitzer, der in der Wüste Grundstücke verkaufen will, ein General, der die Feier zum Gedenktag des Meteoriteneinschlags leitet, und eine Wissenschaftlerin.


Wie gewohnt ist Anderson weniger an einer stringenten Handlung interessiert als vielmehr an einzelnen Szenen und Blicken auf seine Protagonist:innen. Jede Einstellung ist mit sichtbarer Liebe gestaltet und übervoll an Details. Jeder Farbton ist sorgfältig gewählt, jeder der zahlreichen Stars von Jason Schwartzman über Scarlett Johansson und Tom Hanks bis Tilda Swinton, Willem Dafoe und Adrien Brody punktgenau besetzt.


Knochentrocken, aber mit Gespür für feinen Witz und Skurrilität beschwört der 54-Jährige mit Atombombenversuchen im Hintergrund, aber auch mit Angst vor Außerirdischen ebenso wie vor den Kommunisten die USA der 1950er Jahre. Assoziationen an Science-Fiction-Filme wie "The Thing from Another World" oder "War of the Worlds" werden hier ebenso geweckt wie bei späteren Verhören an die damalige Kommunistenjagd.


Doch trotz all dieser feinsinnigen Referenzen verliert Anderson nie die zentralen Themen aus den Augen. Denn im Kern geht es um die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, um Verlust, wenn Steenback über den Tod seiner Frau trauert, aber nie den richtigen Zeitpunkt findet, um seinen Kindern mitzuteilen, dass ihre Mutter gestorben ist. um Distanz und Sehnsucht nach Nähe, wenn Steenback und die Schauspielerin Midge immer nur durch die Fenster ihrer benachbarten Motel-Bungalows und getrennt durch den Weg dazwischen sich unterhalten, und immer wieder um die Verlorenheit des Menschen und die Frage, ob dieses Leben denn einen Sinn habe.


Antworten gibt es darauf freilich keine und auch der Besuch eines Außerirdischen, der Erinnerungen an Robert Wises Klassiker "The Day the Earth Stood Still" weckt, kann da nicht weiterhelfen, sondern höchstens ebenso zum Nachdenken anregen wie die langen Parallelfahrten der Kamera vorbei an den Figuren von Asteroid City ebenso wie durch das Theaterstudio.


Gewiss ist aber auf jeden Fall, wie eine Dialogzeile gegen Ende und noch mehr der Song zum Abspann betont: "You Can´t Wake Up, If You Don´t Fall Asleep": Abtauchen muss man wohl zunächst in die wunderbare Traumwelt von Wes Anderson, an der man sich nicht sattsehen kann und die in ihrer Fülle auch eine zweite Sichtung lohnt, um durch diese Erfahrung bewusster in die reale Welt eintauchen und in ihr leben zu können.

Asteroid City USA 2023 Regie: Wes Anderson mit: Jason Schwartzman, Tom Hanks, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Edward Norton, Scarlett Johansson, Adrien Brody, Liev Schreiber, Willem Dafoe, Margot Robbie, Jeff Goldblum Länge: 106 min.



Läuft derzeit in den Kinos


Trailer zu "Asteroid City"


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