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AutorenbildWalter Gasperi

Alles im Fluss: Die Filme von Mia Hansen-Løve

Die 1981 geborene Mia Hansen-Løve hat sich mit ihren seit 2007 entstandenen acht Spielfilmen zu einer bedeutenden Vertreterin des internationalen Autor:innenkinos entwickelt. Das Berner Kino Rex widmet der Französin, deren unaufgeregte Filme oft von persönlichen Erfahrungen geprägt sind, im November eine Filmreihe.


Wie das Wasser in den Filmen von Mia Hansen-Løve immer wieder eine große Rolle spielt vom Fluss in "Un amour du jeunesse" ("Eine Jugendliebe", 2011) über das Meer in "L´avenir" ("Alles, was kommt", 2016) bis zu "Bergman Island" (2021), so bestimmt das Fließende auch die Filme der Französin.


Da begeht in "Le père de mes enfants" ("Der Vater meiner Kinder", 2009) ein Vater und Filmproduzent Selbstmord und doch geht das Leben für die Familie nach einer Zeit der Trauer weiter. Da wird in "L´avenir" eine Mittfünfzigerin von ihrem Ehemann verlassen und zudem stirbt ihre Mutter, doch die anfängliche Orientierungslosigkeit wird bald von einem Gefühl der Freiheit und Neuorientierung abgelöst. Im Fluss ist aber auch die erste Liebe in "Un amour de jeunesse" und wird nicht auf Dauer halten, während in "Un beau matin" ("An einem schönen Morgen, 2021) der zunehmenden Pflegebedürftigkeit des Vaters eine neue Beziehung der alleinerziehenden verwitweten Tochter gegenübersteht.


Von ganz alltäglichen und doch existentiellen Dingen erzählt Mia Hansen-Løve immer wieder und lässt dabei auch meist ihre eigenen Erfahrungen einfließen. Wie ihre Protagonist:innen gehört die Tochter einer Philosophielehrerin und eines Übersetzers dem gehobenen bürgerlichen Milieu an und bei Isabelle Hupperts Figur in "L´avenir" orientiert sich die Regisseurin ganz offensichtlich an ihrer eigenen Mutter.


In "Le père de mes enfants" wiederum verarbeitet sie den Selbstmord des Filmproduzenten Hubert Balsan, der plante Hansen-Løves Spielfilmdebüt "Tout est pardonné" zu produzieren, und bei "Eden" (2014), der in der Welt der Pariser Techno-Clubs der 1990er Jahre spielt, schrieb sie das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Bruder Sven, der selbst in dieser Szene DJ war.


Auch die Geschichte der Jugendliebe in "Un amour de jeunesse" soll von eigenen Erfahrungen inspiriert sein, während der autobiographische Bezug bei "Bergman Island" (2019) unübersehbar ist. Hier ist die Filmemacherin Chris (Vicky Krieps) nicht nur Hansen-Løves Alter-Ego, sondern in deren Partnerschaft mit einem älteren Filmemacher spiegelt sie ganz offensichtlich auch ihre eigene Beziehung zum 25 Jahre älteren Olivier Assayas, mit dem sie auch eine Tochter hat.


Assayas hat Hansen-Løve auch als 17-Jährige entdeckt und sie als Schauspielerin in "Fin Aout, Debut Septembre" (1998) und danach in "Les destinées sentimentales" (2000) eingesetzt. Danach begann sie ein Schauspielstudium, beendete dies aber nicht, sondern arbeitete über zwei Jahre als Filmkritikerin bei den renommierten Cahiers du cinéma.


So gewann sie über ihre Rollen bei Assayas und das Schreiben über Film Einblick in die Filmregie, besuchte aber nie eine Filmschule. Dennoch gelang ihr nach den Kurzfilmen "Après mûre réflexion", (2004), in dem sie die Trennung ihrer Eltern verarbeitete, und "Offre special" (2005) schon mit ihrem Langfilmdebüt "Tout est pardonné" (2007) der Durchbruch.


Dieses in drei Kapitel gegliederte Drama um eine Familie, die an der Drogensucht des Vaters zerbricht, wurde nicht nur nach Cannes in die Sektion Quinzaine des Realisateurs eingeladen, sondern auch für den César für den besten Erstlingsfilm nominiert und mit dem Prix Louis Delluc ausgezeichnet.


So dramatisch die Ereignisse mit Tod und Trennung in Hansen-Løves Filmen, für die das Werk Éric Rohmers und Robert Bressons wichtiges Vorbild ist, auch immer wieder sind, so bleibt die Erzählweise doch unaufgeregt. Sie will nicht emotionalisieren, sondern das Dramatische wird heruntergespielt und feinfühlig werden Entwicklungen nachgezeichnet, bei denen Schmerz und Trauer immer wieder Glück gegenübersteht oder von diesem abgelöst wird.


Lebensnahe Gefühle sollen vermittelt werden und Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit sind zentrale Begriffe für ihr Kino, das statt auf kinematographische Effekte auf Einfachheit setzt. Wie die präzisen Dialoge an die Filme Rohmers erinnern, so steht das Streben nach Einfachheit und Wahrhaftigkeit in der Tradition der Filme Bressons, ersetzt aber die Strenge und Distanziertheit von dessen Filmen durch einen zärtlich-empathischen Blick.


Statt auf eine Protagonist:in zu fokussieren, rückt sie dabei auch meistens mehrere Figuren ins Zentrum, denen ihre Sympathie gilt und die sie durch unterschiedliche Lebenssituationen begleitet. So wird durch die Vielfalt der Gefühle ein komplexes, aber immer hoffnungsvolles Bild des Lebens gezeichnet, das nie festgeschrieben ist, sondern immer Veränderungen unterworfen ist und bei dem das Staffelholz mit dem Sterben oder Zurücktreten einer Person gewissermaßen an die nächste Generation weitergegeben wird.



Weitere Informationen und Spieltermine der Retrospektive im Kino Rex Bern finden Sie hier.


Ein Gespräch mit Mia Hansen--Løve (60 min. - englische Untertitel)





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