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AutorenbildWalter Gasperi

All We Imagine as Light

Aktualisiert: vor 2 Tagen

"All We Imagine as Light": Meisterhaftes indisches Frauendrama

Die Inderin Payal Kapadia erzählt in ihrem in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten zweiten Langfilm subtil und poetisch von der wachsenden Solidarität von drei Frauen in Mumbai, deren Leben von gesellschaftlichen Normen und Klassengegensätzen eingeschränkt wird.


Meist wird das indische Kino mit den opulenten Bollywood-Filmen verbunden, die mit Liebesgeschichten und viel Gesang und Tanz in eine Traumwelt entfliehen lassen. Doch spätestens seit den 1950er Jahren und den Meisterwerken von Satyajit Ray, Ritwik Ghatak und Mrinal Sen gibt es im Subkontinent auch eine starke realistische und gesellschaftskritische Tradition.


An diese knüpft Payal Kapadia mit dem Auftakt ihres Spielfilmdebüts an. Nach ihrem preisgekrönten Dokumentarfilm "A Night of Knowing Nothing" (2021), in dem sie vom Zerbrechen studentischen Liebe an den Kastengrenzen erzählte, lässt sie auch "All We Imagine as Light" mit einer quasidokumentarischen Szene beginnen.


In langer Fahrt gleitet die Kamera auf einer Straße des noch nächtlichen Mumbais dem Gehsteig entlang, auf dem Marktstände aufgebaut werden und langsam das Leben einsetzt. Aus dem Off erzählen dazu verschiedene Menschen, wie sie die Hoffnung auf bessere Berufs- und Lebensbedingungen aus der Provinz nach Mumbai trieb, wo sie aber nie heimisch wurden. Wie später einmal im Film gesagt wird, entpuppte sich die 15 Millionen-Stadt eben nicht als Stadt der Träume, sondern als Stadt der Illusionen.


Vom Allgemeinen wendet Kapadia den Blick aufs Individuelle, wenn sie die Krankenschwester Prabha (Kani Kusruti) ins Zentrum rückt. Gleichzeitig wird damit der dokumentarische Auftakt durch eine fiktive Geschichte abgelöst, die aber in einen realistischen Hintergrund eingebettet ist. Vor Jahren hat Prabha im Rahmen einer von den Eltern arrangierten Ehe geheiratet, doch ihr Mann lebt nun schon seit drei Jahren in Deutschland und hat sich schon seit langem nicht mehr gemeldet. Dennoch scheint sich die schüchterne Frau ihm verpflichtet zu fühlen und reagiert sehr zurückhaltend auf das Werben eines Arztes. Erst das Eintreffen eines Pakets ohne Absender, das aber wahrscheinlich von ihrem Mann kommt, bringt sie zum Nachdenken.


Ungleich offener und selbstbewusster tritt dagegen ihre jüngere Kollegin Anu (Divya Prabha) auf, mit der Prabha eine kleine Wohnung teilt. Sie flirtet mit einem Arzt und über ihre Beziehung zu einem jungen Mann wird getuschelt. Doch diese Liebe muss Anu geheim halten, handelt es sich bei Shiaz (Hridhu Haroon) doch um einen Muslim und weder dessen noch ihre hinduistischen Eltern würden diese Beziehung akzeptieren.


Als dritte kommt die etwas ältere verwitwete Parvati (Chhaya Kadam) dazu, die im Krankenhaus als Köchin arbeitet. Weil ihr Vertreibung aus ihrer Wohnung droht, da sie ihren Anspruch nicht mit Dokumenten belegen kann und der Hausbesitzer den Block abreißen und eine Luxusanlage errichten will, denkt sie an eine Rückkehr in ihre ländliche Heimat.


Mit arrangierter Ehe, religiösen Spannungen, Gentrifizierung und Verdrängung der ausgebeuteten Unterschicht schneidet Kapadia große sozialkritische Themen an, dennoch bleibt ihr Film sanft und poetisch und schlägt kaum kämpferische Töne an. Die 38-jährige Regisseurin entwickelt keine große dramatische Geschichte, sondern setzt vielmehr auf Stimmungen und die Vermittlung der stillen Sehnsüchte und Wünsche ihrer Protagonistinnen.


Mehr als auf Dialog setzt die Kapadia dabei auf Bilder und Musik. Intensiv evozieren so die Musik von Dhritiman Das und vor allem die Aufnahmen des nächtlichen Mumbai von Kameramann Ranabir Das eine Stimmung der Melancholie, die an die Filme Wong Kar-Wais erinnert. Ganz im Sinne des Titels arbeiten Kapadia und Das dabei meisterhaft mit Farben und Licht, das letztlich die Grundlage jedes Films ist. Blautöne der Krankenhauskleidung und der Nacht dominieren und einzelne erleuchtete Fenster in Hochhausfronten beschwören ebenso ein Gefühl der Einsamkeit und Verlorenheit wie die Busfahrten oder Spaziergänge durch die nächtliche Stadt oder die heimlichen Treffen von Anu und Shiaz.


Gerade weil nichts forciert wird, entwickelt sich ein Sog, der zunehmend tiefer in die Handlung und die Atmosphäre dieses realistisch verankerten, gleichzeitig aber auch verträumten Films hineinzieht. Mit der Fahrt in das am Meer gelegene Heimatdorf Parvatis wächst nicht nur die Freundschaft und Solidarität der drei Frauen, sondern korrespondierend mit dem inneren Aufbruch ändern sich auch die Bilder.


Dominierten in der Stadt Nachtszenen, so spielen die Szenen im Dorf großteils am Tag, an die Stelle von kalten Blautönen treten warme Erdfarben und der Begrenzung des Raums durch enge Wohnungen und des Blicks auf Hochhausfronten stehen nun das scheinbar endlose Meer und die wuchernde Vegetation gegenüber. Hier scheint die Liebe von Anu und Shiaz eine Chance zu haben und auch Prabha scheint sich von ihrer Vergangenheit lösen und für einen Neubeginn öffnen zu können.


Kapadia formuliert aber nichts zu sehr aus, belässt ihren wie schwerelos dahingleitenden Film im Vagen, beschwört aber gerade in der Wortlosigkeit in einem großartigen Schlussbild einer von Neonlampen erleuchteten Strandbar unter dem weiten Sternenhimmel nochmals eindrücklich und nachwirkend dieses Gefühl der Befreiung und der Zufriedenheit. So poetisch dieses Finale aber auch ist, bei dem wieder mit Licht und Farben gespielt wird, so ist es doch gleichzeitig auch von Gesellschaftskritik durchzogen, scheint dieses Glück der Frauen doch nur in der Abgeschiedenheit, nicht aber in der Metropole möglich.

 

All We Imagine as Light Indien / Frankreich / Niederlande / Luxemburg / Italien 2024 Regie: Payal Kapadia mit: Kani Kusruti, Divya Prabha, Chhaya Kadam, Hridhu Haroon, Azees Nedumangad, Anand Sami Länge: 118 min.



Läuft in den österreichischen, deutschen und Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.

Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 16.1., 20 Uhr FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 22.1., 18 Uhr + Do 23.1., 19.30 Uhr


Trailer zu "All We Imagine as Light"





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