Krise und Aufbruch: Die Filme von Alexander Payne
- Walter Gasperi
- 27. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Der 1961 in Nebraska geborene Alexander Payne gehört spätestens seit "About Schmidt" (2002) zu den interessantesten Regisseuren des zeitgenössischen US-Kinos. Im Zentrum seiner lakonischen Tragikomödien stehen immer wieder Männer mittleren Alters, die aus dem Stillstand aufbrechen und sich auf eine Reise wagen. Das Locarno Film Festival zeichnet den 64-Jährigen heuer mit einem Ehrenleoparden aus und das Filmfestival von Venedig wählte den zweifachen Oscar-Preisträger zum heurigen Jurypräsidenten.
Im Leben erstarrt ist der von Jack Nicholson gespielte Neo-Rentner in "About Schmidt" (2002) förmlich und die starren Einstellungen des Beginns korrespondieren perfekt mit dieser inneren Leere und Antriebslosigkeit.
Mit quasidokumentarischer Beobachtung und viel Liebe zum Detail schildert Alexander Payne lakonisch den monotonen Alltag Schmidts, bis er ihn mit seinem Wohnmobil durch die Weiten des amerikanischen Mittelwestens nicht nur zur Hochzeit seiner Tochter, sondern auch zu Orten, die in seinem Leben Bedeutung hatten, aufbrechen lässt. Ganz beiläufig stellt Payne dabei dieser Fahrt des Rentners die Geschichte der Pioniere und Westernhelden gegenüber und wirft die Frage auf, was von den einstigen USA geblieben ist.
Alternde Männer in der Krise und Aufbruch aus der Erstarrung durch eine Reise und schließlich auch der Rückgriff auf die amerikanische Geschichte kennzeichnen nicht nur "About Schmidt", sondern ziehen sich auch durch "Sideways" (2004), "The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten" (2011), "Nebraska" (2013) und "The Holdovers" (2023).
Am Beginn der Karriere des griechischstämmigen Regisseurs, der an der Stanford University Spanisch und Geschichte und an der UCLA Film studierte, stand der Abschlussfilm "The Passion of Martin" (1991). Sofort erregte diese mittellange schwarze Komödie über eine obsessive, aber einseitige Liebe Aufsehen und verschaffte Payne einen Vertrag in Hollywood.
Auf sein Langfilmdebüt "Citizen Ruth" (1995/96), in dem er satirisch überzeichnet Abtreibungsgegner und –befürworter aufeinandertreffen ließ, folgte mit "Election" (1999) eine High-School-Komödie, die am Beispiel einer Schulsprecherwahl mit der amerikanischen Politik abrechnete.
Das konkret gesellschaftskritische Moment trat in den 2000er Jahren in Paynes Filmen in den Hintergrund, dafür erkundete er nun von einem Film zum nächsten eine jeweils andere Region der USA. Auf den Mittelwesten in "About Schmidt" folgte das Kalifornien abseits der Metropolen, die Kleinstädte, Weinberge und Weinhandlungen des Hinterlandes in "Sideways", das Urlaubsparadies Hawaii in "The Descendants" und sein Heimatstaat in "Nebraska" (2013).
Wie in "About Schmidt" schickt Payne seine Protagonisten dabei immer wieder auf eine Reise, bei der die äußere Bewegung mit einer inneren korrespondiert. In "Sideways" fasst so der erfolglose Drehbuchautor Miles (Paul Giametti), dessen Defizite minutiös aufgedeckt werden, im Laufe einer einwöchigen Weintour wieder Mut, während in "The Descendants" der von George Clooney gespielte Anwalt im Laufe der Erkundung des hawaiianischen Archipels langsam seinen beiden ihm entfremdeten Töchtern wieder näher kommt.
In "Nebraska" wiederum begleitet der etwa 40-jährige David seinen senilen Vater Woody (Bruce Dern) auf einer Fahrt von Montana nach Nebraska, weil Woody glaubt eine Million gewonnen zu haben. So groß die Distanzen sind, die sie dabei zurücklegen und so weit der Himmel in diesem Schwarzweißfilm ist, so groß ist anfangs auch die Distanz zwischen Vater und Sohn, doch je länger diese Reise, die auch wieder wie "About Schmidt" eine Reise in die Vergangenheit des Vaters und zu seinem Heimatort ist, dauert, desto besser lernt der Sohn den Vater kennen und kommt ihm wieder näher.
Immer wieder fließt dabei auch beiläufig die amerikanische Geschichte ein, wenn Vater und Sohn in "Nebraska" Mount Rushmore passieren, oder in "The Descendants" der Verlust der indigenen hawaiianischen Wurzeln und der Ausverkauf des Landes kritisiert wird.
Nie bauscht Payne, der sowohl für "About Schmidt" als auch für "The Descendants" mit einem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet wurde, dabei die Handlung auf, dramatisiert nicht, sondern erweist sich als Meister des Understatements und des lakonisch-gelassenen Erzählens.
Er will den Zuschauer nicht mit schnellen Schnittfolgen und anderen inszenatorischen Tricks emotional involvieren, sondern beobachtet aus der Distanz. Durch den geduldigen und insistierenden, aber immer warmherzigem Blick werden so nicht nur menschliche Schwächen aufgedeckt, sondern ganz alltägliche Szenen entwickeln immer wieder auch trockene Komik.
Wie genau er bei seinen Tragikomödien dabei den Ton trifft, wie sicher er auf dem schmalen Grat des Mitgefühls wandelt, ohne in Sentimentalität abzustürzen, und wie groß seine Liebe zu seinen Protagonisten ist, zeigt eindrücklich auch sein knapp siebenminütiger Beitrag zum Episodenfilm "Paris, je t´aime" (2006). Meisterhaft evoziert Payne hier die Einsamkeit einer Frau mittleren Alters aus Denver, die mit ihrem gebrochenen Volkshochschul-Französisch die Seinemetropole erkundet, und lässt sie schließlich doch einen Moment des tiefen Glücks erleben.
Nicht ganz überzeugen konnte dagegen die utopische Satire "Downsizing" (2017), in der Menschen auf zwölf Zentimeter geschrumpft werden, um den Ressourcenverbrauch einzudämmen. Wenn auch der Protagonist des Films diese Möglichkeit in Anspruch nimmt, um seiner unbefriedigenden Lebenssituation zu entkommen, erzählt auch dieser Filme von einer Reise in eine neue Welt. Der Aufbruch bringt hier aber nicht das erhoffte Glück, sondern der Traum mutiert bald in einen Albtraum und die Schattenseiten der scheinbar sorgenfreien Miniaturwelt "Leisureland" werden sichtbar.
Eine hinreißende Tragikomödie gelang Payne dagegen wieder mit dem für fünf Oscars nominierten "The Holdovers". Wunderbar trocken und mit pointierten Dialogen erzählt er in dem in den frühen 1970er Jahren spielenden Film nicht nur von einem misanthropischen Lehrer (Paul Giamatti), der sich im Internat während der Weihnachtsferien um einen rebellischen Teenager kümmern muss und schließlich einen Aufbruch wagt, sondern auch vom Trauma des Vietnam-Kriegs und der Kluft zwischen Ober- und Unterschicht.
Gespannt darf man auf das nächste Projekt dieses Regisseurs sein. Denn waren seine bisherigen Filme stark in der amerikanischen Kultur verwurzelt, so soll "Somewhere Out There" Anfang 2026 in Dänemark und auf Dänisch gedreht werden.
Video zu den Filmen von Alexander Payne (10 Minuten, englisch)
Comments