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  • AutorenbildWalter Gasperi

The Holdovers

Ein misanthropischer Lehrer soll im Winter 1970 einige High-School-Schüler, die die Weihnachtsferien auf dem Campus verbringen, betreuen: Alexander Paynes trockene Inszenierung, prägnante Zeichnung von eigenwilligen Figuren und treffsichere Dialoge sowie ein Gespür für die Verbindung von Witz und berührenden Szenen und die beiläufige Einbettung in die Zeitstimmung sorgen für eine meisterhafte Tragikomödie.


Sechs Jahre nach "Downsizing" (2017) meldet sich Alexander Payne mit seinem besten Film zumindest seit "Nebraska" (2013) zurück. So vorhersehbar die Geschichte um einen misanthropischen Lehrer (Paul Giamatti), der sich während der Weihnachtsferien um Schüler kümmern muss, dabei auch im Großen ist, so überraschend und beglückend bleibt "The Holdovers" dennoch im Detail.


Nicht zufällig spielt diese meisterhafte Tragikomödie nämlich im Jahr 1970. Damit können Payne und sein Drehbuchautor David Hemingson nämlich das Trauma des Vietnam-Kriegs hereinspielen lassen und die Kluft zwischen Oberschicht und Unterschicht aufdecken. Während die Söhne reicher Eltern nämlich nach Abschluss der 1797 gegründeten und auf ihre Tradition pochenden privaten Barton Academy auf ein College gehen, blieb dieser Weg dem Sohn der afroamerikanischen Köchin Mary (Da´Vine Joy Randolph) der Schule aus Geldmangel versagt. Einzig in der Meldung zur Armee sah er eine Zukunft und fiel in Vietnam.


Schwer lastet dieser Verlust auf Mary und immer wieder bricht die Trauer durch. Der als engstirnig verschriene und keine Empathie zeigende Geschichtelehrer Paul Hunham, der zur Verärgerung des Direktors auch den Sohn eines großen Gönners der Schule durchfliegen lässt und bei Kollegen ebenso verhasst ist wie bei Schülern, scheint dagegen schon längst jede Lebensfreude verloren zu haben. Sein einziges Vergnügen scheint im Quälen seiner Schützlinge zu bestehen.


Auch Weihnachten verbringt er am Campus und soll sich so um fünf Schüler kümmern, die aus unterschiedlichen Gründen die Ferien nicht bei ihren Eltern verbringen können. Einen herrlich bunten Haufen haben Payne und Hemingson hier mit dem langhaarigen Kountze (Brady Hepner), dem widerborstigen Angus (Dominic Sessa), dem jüngeren Mormonen Alex (Ian Dolley), dem Koreaner Ye-Yoon (Jim Kaplan) sowie einem weiteren Schüler geschaffen.


Statt Ferien sind bei Hunham selbstverständlich körperliche Ertüchtigung im Schnee und Studium angesagt. Fröhliche Weihnachtslieder sorgen dabei für einen markanten Kontrast zur miesen Stimmung auf dem Campus. Bald werden aber vier Schüler doch noch abgeholt und zurück bleiben nur Angus, Hunham und die Köchin Mary.


Langsam kommt diese ungleiche Gruppe sich nicht nur näher, sondern verlässt schließlich auch den Campus, um zunächst eine Party in der Stadt zu besuchen, dann aber auch eine größere Reise zu machen, die als Exkursion getarnt wird.


Mehr sollte hier nicht verraten werden, denn sukzessive treten im Laufe des Films auch die Traumatisierungen und Belastungen des Trios zu Tage. Neben Marys Trauer über den Verlust des Sohnes werden so auch bei Angus und Hunham Depressionen sichtbar und zudem bei Hunham auch die Enttäuschung darüber, auf der Highschool, die er einst schon als Schüler besuchte, nun als Lehrer zu versauern.


Alle drei hat so die Vergangenheit fest im Griff, doch Payne erzählt eben auch davon, dass diese Vergangenheit nicht die Zukunft bestimmen muss und darf, sondern dass der Mensch selbst entscheiden kann und er so immer die Möglichkeit hat, seinem Leben eine Wende zu geben. Und so wird auch der im Leben schon erstarrte, missmutige Hunham schließlich eine Entscheidung treffen, die seinem Dasein doch noch eine Wende geben und einen Weg in eine neue Zukunft öffnen wird.


Wunderbar trocken ist das erzählt. Für hinreißenden Witz sorgen die pointierten Dialoge, bei denen Hunham auch immer wieder seine Bildung in griechisch-römischer Geschichte ins Spiel bringt, ebenso wie die facettenreiche Figurenzeichnung und die blendend harmonierenden Darsteller:innen.


Großartig ist nicht nur Paul Giamatti, der 19 Jahre nach "Sideways" (2004) das zweite Mal unter der Regie von Payne spielt, und bestechend den Frust und die Verbitterung dieses Lehrers vermittelt, aber auch seine langsame Entwicklung zum Menschenfreund überzeugend verkörpert, sondern auch Da´Vine Joy Randolph als schwer übergewichtige Köchin Mary und der Newcomer Dominic Sessa als Angus.


Dazu kommt Paynes Gespür für Situationskomik und ein großartiger Soundtrack, der ebenso wie die sich am US-Kino der damaligen Zeit orientierende Bildsprache bestens in diese Weihnachtszeit des Jahres 1970 eintauchen lässt. Souverän wechselt er auch zwischen unglaublich witzigen Szene und berührenden Momenten, wenn die Protagonist:innenen in ihre Traumata und inneren Wunden blicken lassen.



The Holdovers USA 2023 Regie: Alexander Payne

mit: Paul Giamatti, Da'Vine Joy Randolph, Carrie Preston, Dominic Sessa, Andrew Garman, Gillian Vigman, Ian Dolley, Jim Kaplan, Brady Hepner

Länge: 133 min.



Läuft jetzt in den österreichischen, deuschen und Schweizer Kinos.


Trailer zu "The Holdovers"



 

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