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A House of Dynamite

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 12 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit
"A House of Dynamite": Beängstigend realistischer und hochspannender Atomkriegs-Thriller
"A House of Dynamite": Beängstigend realistischer und hochspannender Atomkriegs-Thriller

Eine Interkontinentalrakete rast auf die USA zu. 19 Minuten bleiben bis zum Einschlag in Chicago: Kathryn Bigelow zeichnet in ihrem hochspannenden, atemlosen Thriller ein alptraumhaftes Bild der Ohnmacht der Sicherheitsberater:innen und einer Situation, in der der US-Präsident nur zwischen Kapitulation und Selbstmord entscheiden kann.


Nach Genrefilmen wie dem Polizeifilm "Blue Steel" (1990) oder dem Surfer-Bankräuberfilm "Point Break" ("Gefährliche Brandung", 1991) hat sich Kathryn Bigelow in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend politischen Themen zugewandt.


In "The Hurtlocker" ("Tödliches Kommando – The Hurt Locker", 2008), für den sie als erste Frau überhaupt den Oscar für die beste Regie gewann, erzählte sie quälend intensiv von einem Bombenentschärfungskommando im Irak. In "Zero Dark Thirty" (2012) zeichnete sie mitreißend die Suche nach dem Terroristen Osama Bin Laden nach und in "Detroit" (2017) widmete sie sich den Rassenunruhen in Detroit im Sommer 1967.


"A House of Dynamite", der einen neuen, beunruhigend aktuellen Höhepunkt in der Geschichte des Atombombenkinos (Buch von Sassan Niasseri) darstellt, wurde nun von Netflix produziert. Weitgehend unsichtbar bleibt so der Film, erhält nach der Premiere beim Filmfestival von Venedig nur eine begrenzte Kinoauswertung beispielsweise in Deutschland und der Schweiz, nicht aber in Österreich, ehe er schon zwei Wochen später, ab 24.10., beim Streaming-Giganten verfügbar sein wird.


Seine ganze Kraft entwickelt dieser atemberaubend spannende Thriller, der Alpträume verursachen kann, freilich nur im Kino. Zwar gibt es keine spektakulären Bilder und Effekte, aber nur im dunklen Saal wird man in die beklemmend dichte Atmosphäre von Bigelows elftem Spielfilm wirklich eintauchen.


Schon bevor die Bilder einsetzen, evoziert die Musik von Volker Bertelmann Verunsicherung. Zwar scheint in einem Armeestützpunkt in Alaska mit der Dienstablöse ein ganz normaler Tag zu beginnen und auch für Olivia Walker (Rebecca Ferguson), die leitende Offizierin im Sicherheitszentrum des Weißen Hauses, ist das Fieber ihres kleinen Sohnes,die größte Sorge, doch bald ist die Welt aus den Fugen.


Hält man die geortete Interkontinentalrakete zunächst für einen weiteren Test Nordkoreas, so muss man bald feststellen, dass der Abschussort nicht geortet werden kann. Offen bleibt, ob das US-Satellitensystem durch einen Cyber-Angriff ausgeschaltet wurde. 19 Minuten bleiben noch bis zum Einschlag, der für Chicago prognostiziert wird und mindestens zehn Millionen Menschen den Tod bringen dürfte.


Der Versuch die Rakete abzuschießen scheitert. Immer fieberhafter werden die Bemühungen im Sicherheitszentrum die Ursache des Angriffs zu eruieren und eine Eskalation der Situation zu verhindert: Hat "nur" ein U-Boot-Kapitän durchgedreht oder ist es ein gezielter Angriff auf die USA? Steckt wirklich Nordkorea oder vielleicht doch China oder Russland hinter dem Angriff? Soll man zurückschlagen oder abwarten? Telefonate mit Russland führen zu keinem Ergebnis, denn man misstraut sich gegenseitig.


Eine Nordkorea-Expertin (Greta Lee) soll abschätzen, ob Nordkorea von seinen miilitärischen Möglichkeiten und Interessen her der Aggressor sein kann, ein General (Tracy Letts) wartet auf Befehle, der Verteidigungsminister eilt vom Golfspiel ins Büro, während der afroamerikanische US-Präsident (Idris Elba) unvermittelt vom Besuch einer Schule weggeführt und vor die unmögliche Entscheidung gestellt wird, abzuwarten und den Tod von Millionen Amerikaner:innen hinzunehmen oder zurückzuschlagen.


Was parallel passiert, erzählt Bigelow hintereinander. Dreimal setzt sie mit der Nachricht, dass in 19 Minuten der Einschlag der Rakete erfolgt, ein, rückt zunächst die Militärbasis in Alaska und vor allem die Sicherheitsberaterin Walker ins Zentrum, dann andere Entscheidungsträger und schließlich den US-Präsidenten.


Mit der virtuosen Montage von Kirk Baxter verzahnt Bigelow die einzelnen Perspektiven. Sind gewisse Entscheidungsträger im ersten Abschnitt nur akustisch präsent, so ist in den folgenden Abschnitten wiederum Walker nur über ihre Stimme gegenwärtig. Gleichzeitig sorgt die nah geführte unruhgie Kamera von Barry Ackroyd mit Reißschwenks und Zooms nicht nur für einen quasidokumentarischen Gestus, sondern zieht die Zuschauer:innen auch unmittelbar ins Geschehen hinein.


Beunruhigend ist, wie im Grunde niemand einen Fehler macht, die Situation dennoch eskaliert und die Welt innerhalb von wenigen Minuten scheinbar unaufhaltsam auf einen Abgrund zusteuert. Wenn der General auf die Bemerkung des Präsidenten, dass dies Irrsinn sei, antwortet, dass dies die Realität sei, trifft erschreckenderweise beides zu.


Kein Action-Spektakel, in dem am Ende doch wieder alles gut ist, liefert Bigelow, sondern sie bleibt nah an der Realität. Bei weitem nicht alles wird man verstehen, was hier in militärtechnischer Sprache kommuniziert wird, doch es ist auch diese authentische Sprache, die zur Überzeugungskraft dieses extrem dichten Thrillers beiträgt.


Aber auch auf emotionale Erdung vergisst die 74-jährige Oscar-Preisträgerin nicht, wenn sie einige ihrer Protagonist:innen knapp in ihre persönliche Situation einbettet. Denn da sorgt sich die Sicherheitsbeamtin um Mann und Kind, der Verteidigungsminister, der vor kurzem seine Frau verloren hat, telefoniert nochmals mit seiner in Chicago lebenden Tochter, und der Präsident versucht seine in Afrika weilende Frau um Rat zu fragen.


Zur ungemein kompakten Inszenierung kommt ein großes Ensemble, bei dem alle Figuren authentisch wirken. Großartig ist vor allem Idris Elba als US-Präsident. Erst im letzten Drittel des Films kommt dieser ins Bild, vermittelt aber eindringlich den Druck, der auf ihm lastet. Kein Hitzkopf ist dies, sondern ein besonnener Politiker und doch steht er vor einer unmöglichen Entscheidung.


Ganz anders ist nämlich die Situation als im Amerikanischen Bürgerkrieg, der mit einem Reenactment der Schlacht von Gettysburg, das die Nordkorea-Expertin mit ihrem kleinen Sohn besucht, und einem Blick auf eine Büste Abraham Lincolns ins Spiel gebracht wird. Blieb damals nämlich der Krieg lokal begrenzt und kamen bei der Schlacht 50.000 Soldaten ums Leben, so droht heute nicht nur im Film, sondern auch in der Realität ein Weltenbrand, bei dem wohl auch die Flucht in einen Atombunker keine Zukunftsperspektiven bietet.

 

A House of Dynamite

USA 2025

Regie: Kathryn Bigelow 

mit: Idris Elba, Rebecca Ferguson, Gabriel Basso, Jared Harris, Tracy Letts, Anthony Ramos, Moses Ingram, Jonah Hauer-King, Greta Lee, Jason Clarke

Länge: 112 min.


Derzeit in den deutschen und schweizer Kinos, z.B. im Skino Schaan und Kino Scala St. Gallen.


Trailer zu "A House of Dynamite"


 

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