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  • AutorenbildWalter Gasperi

Lamb


Der Kinderwunsch eines Paares auf einem Hof in Nordisland scheint sich mit einem seltsamen Lamm zu erfüllen, doch bald stellen sich Bedrohungen von außen ein. – In düsteren Bildern und beunruhigender Tonspur entwickelt Valdimar Jóhannsson in der isländischen Oscareinreichung für 2022 einen ebenso eigenwilligen wie faszinierenden Mix aus Drama und Horror-Märchen.


Immer wieder hat in den letzten Jahren die ebenso großartige wie raue und düstere isländische Landschaft wesentlich zur Stärke von Filmen von der Atlantikinsel beigetragen. Man denke nur an "Weißer weißer Tag", "Rams – Sture Böcke" oder "Woman at War". Auf die Ausdruckskraft dieser Landschaft setzen auch Valdimar Jóhannsson und sein Kameramann Eli Arenson von den ersten Einstellungen an mit einer weiten Schneelandschaft, in der der Schnee bruchlos in einen nebeligen Himmel übergeht.


Beunruhigend wird die Stimmung durch ein seltsames, wohl tierisches Atemgeräusch. Doch unsichtbar bleibt dessen Urheber, vielmehr nähert man sich mit subjektiver Kamera aus der Perspektive dieses Wesens einer Herde von Islandponys, die in Panik flüchten, dann einem Schafstall, in dem es offensichtlich ein Opfer findet.


Betrieben wird dieser abgelegene Hof in Nordisland von Ingvar (Hilmir Snaer Guðnason) und Maria (Noomi Rapace). Ein glückliches Paar sind sie, helfen sich gegenseitig sowohl bei der Arbeit auf den Feldern als auch im Haus. Gesprochen wird nur wenig, aber fürsorglich ist der Umgang miteinander. Später wird aber ein Besuch auf dem Friedhof klar machen, dass sie schwer unter dem Verlust eines Kindes leiden.


Als die Schafe werfen, entdecken sie unter den anderen Lämmern ein ganz besonderes Exemplar. Ganz selbstverständlich nehmen sie dieses als ihr eigenes Kind auf und nennen es Ada. Ein seltsamer Zufall ist es, dass "Lamb" damit nach Julia Ducournaus "Titane" und Leos Carax´ "Annette" das dritte ganz und gar ungewöhnliche Kind präsentiert.


So harmonisch freilich das Paar lebt, so verbreitet die Reduktion der Farbpalette mit der Dominanz von Grau und Blau im Haus und die karge Landschaft zwischen Wiese und mächtigem, immer wieder mal schneebedecktem Berg und mit meist wolkenverhangenem Himmel immer eine bedrückende Stimmung. In Widerspruch steht diese Düsternis zum Glück des Paares. Darauf will Maria auch nicht mehr verzichten und geht brutal vor, als das Mutterschaf Ansprüche erhebt.


Bewegung kommt in die Beziehungen, als Ingvars Bruder Petur auftaucht, der von ein paar Bekannten auf der einsamen Straße aus dem Wagen geworfen wird. Über seine Vergangenheit erfährt man nur, dass er ein wohl wenig erfolgreicher Musiker war oder immer noch ist und wieder einmal Schulden hat. Reagiert er zunächst – wie wohl auch das Publikum – verstört auf Ada, so lernt er sie bald zu lieben, gefährdet aber die abgeschottete Kleinfamilie durch sein erotisches Verlangen nach Maria. Wieder muss die von Noomi Rapace mit großer Präsenz und Intensität gespielte Frau handeln, aber es gibt eben auch noch den wahren Kindsvater, der seinen Sprössling nicht den Menschen überlassen will.


Von Volksmärchen hat sich Valdimar Jóhannsson inspirieren lassen, doch die Fantasy- und Horror-Elemente nützt er vor allem, um im Kern ein bedrückendes Drama zu erzählen. Große atmosphärische Dichte entwickelt "Lamb" durch die Beschränkung auf den abgelegenen Hof als einzigen Schauplatz und das Paar, das Kind und Ingvars Bruder als weitgehend einzige Charaktere. Dazu kommen aber auch die Schafe und der Hund, vor allem aber die archaische Landschaft als weitere Hauptdarsteller.


Die ganze Sehnsucht des Paares nach einem Kind wird spürbar, wenn Maria auf Peturs Frage, was hier vorgehe, nur antwortet, dass dies der Inbegriff von Glück sei. Mit allen Mitteln möchte nun vor allem sie dieses Glück verteidigen, gleichzeitig zeigt Jóhannsson wie auch die Natur auf solche Grenzüberschreitungen reagiert und sein Recht einfordert.


Langsam, aber intensiv erzählt der 43-jährige Isländer in seinem Spielfilmdebüt, hält die Spannung hoch, da der weitere Handlungsverlauf nie vorhersehbar ist, und baut auch mit der immer wieder anschwellenden Musik von Þórarinn Guðnason eine beunruhigende Stimmung auf. Wesentlich zur Irritation und Faszination, die "Lamb" ausstrahlt, trägt aber natürlich auch Ada bei. Dieses ungewöhnliche Kind und sein Verhältnis zu den Eltern, aber auch das Spannungsfeld von Mensch und Natur, das mit dieser Beziehung aber auch mit dem Gegensatz von abgelegenem Hof und weiter, öder Landschaft aufgebaut wird, sorgen nicht nur für großen Interpretationsspielraum, sondern auch dafür, dass einem dieser Film nicht so schnell aus dem Kopf gehen wird.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Skino in Schaan und ab 1.11. im Kinok in St. Gallen


Trailer zu "Lamb"




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