Sam Mendes folgt in seinem mit zwei Golden Globes ausgezeichneten und für 10 Oscars nominierten Kriegsfilm scheinbar in Echtzeit und einer ungeschnittenen Einstellung zwei britischen Unteroffizieren bei einem Auftrag durch die Schützengräben und das zerbombte Niemandsland an der Westfront des Ersten Weltkriegs. – Extrem immersives Kino, das auf Nacherleben abzielt, gerade aber auch in seiner handwerklichen Virtuosität einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt.
6. April 1917 – Die genaue Datierung ist kein Zufall, sondern dieser Tag markiert auch die amerikanische Kriegserklärung an Deutschland und die endgültige Ausweitung des Krieges zum Weltkrieg. Thematisiert wird dies in dem nach dem im Zweiten Golfkrieg spielenden „Jarhead“ zweiten Kriegsfilm von „Bond“-Regisseur Sam Mendes („Skyfall“, „Spectre“) aber nicht.
Zahlreiche Spielfilme gibt es schon zum Ersten Weltkrieg. Mendes konzentriert sich ganz auf die Ebene der zwei britischen Unteroffiziere Schofield (George MacKay) und Blake (Dean-Charles Chapman) und erzählt konsequent aus ihrer Perspektive. Idyllisch wirkt das erste Bild mit dem auf einer grünen Frühlingswiese sich ausruhenden Blake, bis er zum Vorgesetzten gerufen wird, die Kamera sich mit ihm erhebt und vor ihm zurückweicht, wenn er sich in Richtung Kommandozentrale bewegt.
Bald geht es da an einer Feldküche vorbei, löst Matsch die Wiese ab, kommen zahlreiche, erschöpft am Boden liegende Soldaten ins Bild, bis Blake in einen Schützengraben hinabsteigt. Wie hier die Kamera vor ihm zurückweicht, wird sie sich bald um ihn drehen und ihm im Rücken folgen, dann wieder die umgekehrte Bewegung vornehmen.
Hautnah folgt die Kamera von Roger Deakins, die fast immer in Bewegung ist, Blake und seinem Kollegen Schofield über 119 Minuten, nie gewährt sie einen Überblick. Auftrag der beiden Unteroffiziere ist es durch das zerbombte Niemandsland einem anderen Bataillon, in dem auch Blakes Bruder dient, den Befehl zu überbringen einen geplanten Angriff abzublasen, da sich hinter diesem eine Falle der Deutschen verbirgt, die 1600 britischen Soldaten den Tod bringen würde.
Enormen Fluss und Sog entwickelt „1917“ dadurch, dass scheinbar in einer Einstellung gedreht wurde. Tatsächlich werden Schnitte kaschiert, indem ähnlich wie in Hitchcocks „Rope – Cocktail für eine Leiche“ am Ende von Einstellungen immer auf dunkle Flächen oder Ähnliches geschwenkt wird, an denen dann problemlos die nächste Einstellung angesetzt werden kann.
Mendes, der sich von den Erzählungen seines Großvater Alfred Mendes inspirieren ließ, und Deakins, dem für diese Leistung sein nach „Blade Runner 2049“ zweiter Oscar bei sagenhaften 15 Nominierungen kaum zu nehmen sein dürfte, versetzen den Zuschauer mit dieser direkten Inszenierung quasi selbst an die Westfront. Ähnlich wie im letzten Jahr Peter Jackson mit seiner digitalen Bearbeitung von Archivmaterial aus dem Ersten Weltkrieg für „They Shall Not Grow Old“ will auch Mendes immersives Kino bieten. Nicht um Erkenntnisgewinn geht es, sondern um das möglichst unmittelbare Nacherleben der Erfahrungen und Empfindungen der Soldaten. Keine Backstories und Nebenhandlungen gibt es, ganz im Hier und Jetzt des Auftrags von Schofield und Blake bleibt "1917"
Neben Deakins, der mit einer weitgehend auf schmutzige Grau- und Brauntöne reduzierten Farbpalette arbeitet, trägt wesentlich auch das perfekte Production-Design des „Bond“-Production Designers Dennis Gassner zur intensiven Atmosphäre bei. Enge und Matsch in den Schützengräben wird dadurch ebenso geradezu physisch erfahrbar wie die Anstrengung beim Schieben eines im Schlamm hängengebliebenen LKW, der Schrecken einer Sprengfalle in einem deutschen Unterstand, der Ekel vor den omnipräsenten Ratten oder die totale Zerstörung der Landschaft durch das monatelange Artilleriefeuer.
In scharfen Kontrast zu dieser Landschaft, in der Blake und Schofield tote Soldaten, neben denen sie sich auch mehrfach verstecken müssen, ebenso wie tote Pferde oder zerstörte Panzer passieren, stellt Mendes weiß blühende Kirschbäume, die aber von den Deutschen gefällt wurden.
Die Antithese ist das entscheidende Strukturprinzip, aus dem „1917“ von Anfang an, wenn die Wiese durch den Schützengraben abgelöst wird, seine erschütternde Wirkung und Kraft entwickelt. Mendes schlägt den Zuschauer eben nicht mit einer einzigen Folge von sich steigerndem Kriegsschrecken tot, sondern versteht es meisterhaft zu variieren, zwischen hochdramatischen und schnellen Momenten und ruhigen zu wechseln. Dazu trägt auch die Musik von Thomas Newman bei, die bald langsam anschwillt, dann aber auch wieder ganz verstummt und Momente der Stille zulässt.
Die klassischen oder auch stereotypen Bilder vom Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg werden dabei konsequent vermieden. Kein stundenlanges, ohrenbetäubendes Artilleriefeuer gibt es hier, und keine Sturmangriffe, die beispielsweise Lewis Milestones Klassiker „All Quiet on the Western Front“ kennzeichnen.
Statt große Kampfhandlungen zu inszenieren beschränkt sich Mendes darauf die Folgen des Artilleriefeuers für Landschaft und Mensch zu zeigen und fokussiert auf Einzelkämpfen zwischen den beiden britischen Boten und vereinzelten Deutschen, denen sie auf ihrem Weg begegnen. Im Gegensatz zu anderen Kriegsfilmen gibt es dabei auch keine Annäherung oder ein Verständnis zwischen einzelnen einfachen Soldaten, sondern selbst noch schwerverletzt trachtet ein Deutscher den beiden Briten nach dem Leben.
Erbittert wird hier auch auf unterer Ebene der Krieg geführt, gleichzeitig gibt es in der Begegnung mit einer jungen französischen Zivilistin aber auch wieder einen Moment der Menschlichkeit und der Fürsorge.
So handwerklich virtuos das aber auch gemacht ist, so ist es doch gerade diese Virtuosität, die für einen zwiespältigen Gesamteindruck sorgt. So erschütternd dadurch zwar der Schrecken des Ersten Weltkriegs vermittelt wird, so sehr zielt „1917“ auch darauf ab diese Virtuosität zu demonstrieren.
Ganz im Gegensatz zu Ovids Forderung „ars arte sua latet“ (Metamorphosen 10, 252), dass sich wahre Kunst darin zeigt, dass sie nicht sichtbar ist, sondern natürlich wirkt, stellen Mendes und sein Team ihre Kunstfertigkeit auch aus. Gerade bei einem sich an der Realität orientierenden Kriegsfilm scheint das aber höchst problematisch, läuft der Film doch Gefahr das erschütternde Schicksal der Soldaten zur Demonstration des künstlerischen Könnens zu missbrauchen.
Dies zeigt sich vor allem an Details, wie dem Umstand, dass einerseits mit der ungeschnittenen Einstellung eine Erzählung in Echtzeit von zwei Stunden behauptet wird, aber sich andererseits die erzählte Zeit ganz offensichtlich von einem Tag bis zum nächsten Vormittag erstreckt. Und auch die Dichte der Erlebnisse, die auf die beiden Soldaten in zwei Stunden hereinprasseln, steht im Widerspruch zur behaupteten Echtzeit. – Bei aller Virtuosität in der Umsetzung stört so letztlich die selbst gewählte Vorgabe in scheinbar einer einzigen Einstellung und in Echtzeit zu erzählen, letztlich die Dramaturgie und den Anspruch auf Realismus und bringt diesen Spießrutenlauf durch eine Kriegslandschaft in die Nähe eines Computerspiels.
Trailer zu "1917"
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