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  • AutorenbildWalter Gasperi

58. Solothurner Filmtage: Jenseits der Eidgenossenschaft

Aktualisiert: 23. Jan. 2023


Schon mit dem Eröffnungsfilm über den oppositionellen weissrussischen Diplomaten Andrei Sannikov ("This Kind of Hope") gab es bei den Schweizer Filmtagen einen Film ohne inhaltlichen Bezug zur Eidgenossenschaft. Das Bild setzte sich mit dem Dokumentarfilm "The DNA of Dignity" und "The Land Within", die auf dem Balkankrieg und dessen Folgen fokussieren, fort.


Wurden in früheren Jahren die Solothurner Filmtage meist mit Filmen eröffnet, die einen direkten inhaltlichen Bezug zur Schweiz haben wie Micha Lewinskys Komödie über die Fichen-Affäre "Moskau einfach" (2020) oder Alain Gsponers "Akte Grüninger" (2014), so lenkte heuer Pawel Siczeks Eröffnungsfilm "This Kind of Hope" den Blick auf den oppositionellen weissrussischen Diplomaten Andrei Sannikov.


Wie die Programmierung auch als politisches Statement zu betrachten ist, so spiegeln die Filmtage insgesamt auch die zunehmende Internationalisierung des Films. Einerseits gibt es aus finanziellen Gründen kaum noch rein nationale Produktionen, andererseits sorgt die Migration für eine stärkere Durchmischung.


Rückgrat des Dokumentarfilms des gebürtigen Polen Pawel Siczek bildet ein Interview, das der Regisseur mit Andrei Sannikov in seinem polnischen Exil, wo der Weissrusse seit mehreren Jahren lebt, führte. Unterstützt wird Sannikovs Nachzeichnung seines Lebens durch Archivmaterial von Kindheits- und Jugendfotos über Berichte von der Unabhängigkeitserklärung Weissrusslands 1991 bis zu den Protesten gegen die Diktatur Lukaschenkos, gegen die der Machthaber mit dem Polizeiapparat rigoros vorging und vorgeht.


Im Vergleich zum ähnlich angelegten Dokumentarfilm "Nawalny", in dem die Spannung eines Thrillers aufgebaut wird, fehlt es "This Kind of Hope" allerdings an Verdichtung und Akzentuierung. So dramatisch und packend die Lebensgeschichte Sannikovs ist, so einförmig ist die Erzählweise. Statt die Situation des Oppositionellen, die bedrückende Lage in Weissrussland und die Belastung eines Lebens im Exil und der Trennung von der Familie intensiv erfahrbar zu machen, bleibt vieles nur Behauptung.


Wichtig ist der Film dennoch in der klaren Herausarbeitung des entschlossenen und unermüdlichen Widerstands Sannikovs, der trotz der Lage in seinem Heimatland die Hoffnung auf einen Sturz der Diktatur nicht aufgibt.


An die Gräuel des Balkankriegs der 1990er Jahre erinnert dagegen Jan Baumgartner in seinem 61-minütigen Dokumentarfilm "The DNA of Dignity". Ausgehend von einer aus Zeugenaussagen gebildeten fikiven Mutter, die über den Schmerz klagt, dass ihre seit dem Krieg vermissten Söhne immer noch nicht identifiziert werden konnten, schildert Baumgartner die Arbeit von forensischen Anthropolog:innen und Archäolog:innen, die in Massengräbern menschliche Überreste sichten, Skelette zu rekonstruieren versuchen und die DNA von Angehörigen mit ihren Funden vergleichen.


Die Erzählweise ist distanziert, doch in der ebenso ruhigen wie akribischen Schilderung und in der sich durch den Film ziehenden Klage der Mutter vermittelt dieser Dokumentarfilm eindringlich die Trauer und den Schmerz, die auch über 20 Jahre nach Kriegsende ungebrochen sind.


Während bei "The DNA of Dignity" ein abschließendes Insert darauf verweist, dass immer noch 11.000 Menschen seit dem Balkankrieg als vermisst gelten, steht ein ähnliches Insert am Beginn des Spielfilmdebüts "The Land Within" des 1992 im Kosovo geborenen und in der Schweiz aufgewachsenen Fisnik Maxville.


Maxville lässt seinen während des Balkankriegs aus dem Kosovo geflohenen Protagonisten Remo 2008 in seine Heimat zurückkehren, wo er in einem Massengrab gefundene Leichen identifizieren soll. Während die Exhumierung der Toten an die Gräuel des Balkankriegs erinnert, rückt aber immer mehr ein düsteres Familiengeheimnis ins Zentrum, das in die 1980er Jahre zurückführt und in mehreren Rückblenden langsam gelüftet wird.


Durchaus spannend in der Anlage leidet "The Land Within" an seiner Überkonstruktion und Überambitioniertheit. Wie hier die Klärung des Geheimnisses immer wieder aufgeschoben wird, erzeugt nämlich mehr Frust und Verärgerung als Spannung und die penetrante Betonung der Zerrissenheit des Protagonisten und seiner Cousine verleiht diesem Debüt eine bleierne Schwere. Recht dünn bleibt dagegen die Aussage vom Kreislauf sich steigernder Gewalt, der hier durch eine Blutrache ausgelöst wird. – Hoffnung auf eine Überwindung der Vergangenheit verbreitet einzig das Schlussbild, wenn Kinder auf dem früheren Massengrab fröhlich Ball spielen.



Weitere Berichte: - Vorschau auf die 58. Solothurner Filmtage - Der weibliche Blick: "Trained to See - The Women And The War", "The Mies van der Rohes", "Cascadeuses"

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