Der Kanadier Daniel Roher zeichnet in seinem Dokumentarfilm nicht das Leben des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny nach, sondern fokussiert auf dem Giftanschlag 2020 und Nawalnys sich daran anschließenden Recherchen. – Getragen vom charismatischen Protagonisten weitet sich das Porträt zum flott geschnittenen und spannenden Aufruf zum Widerstand gegen Machthaber und bietet auch Einblicke in Putins Regime.
Auf Daniel Rohers Frage, welche Botschaft er dem Publikum mitgeben wolle, falls er ermordet werde, reagiert Alexei Nawalny konsterniert und erklärt klar, dass dies kein Nachruf, sondern ein Thriller werden soll. Falls er dann wirklich ermordet werden sollte, könne Roher als zweiten Film ja immer noch einen Nachruf nachschieben.
Schon dieser Auftakt zeigt, was für ein Medienprofi Alexei Nawalny ist und wie gekonnt er mit locker-witzelndem Umgang über seine eigene gefährliche Situation und seinen stahlblauen Augen das Publikum auf seine Seite zieht. Roher spielt dieses Spiel mit, überlässt Nawalny in den folgenden gut 90 Minuten den filmischen Raum, verzichtet auf beinahe jede Distanz und lässt keine Gegenstimmen zu Wort kommen.
Ganz nach dem Wunsch des Oppositionellen legt der kanadische Filmemacher seinen Dokumentarfilm auch als Thriller an. Von der Nachricht von Nawalnys Rückkehr nach Russland im Januar 2021 nach der Behandlung des Giftanschlags in Deutschland blendet Roher drei Jahre zurück.
Mit Archivmaterial von Auftritten des heute 46-jährigen Anwalts bei Demonstrationen und Reden gegen Putin, den er als Dieb beschimpft, bietet er einen starken Eindruck von der charismatischen Kraft dieser Galionsfigur des Widerstands. Kritisch wird der Blick Rohers nur, wenn er seinen Protagonisten auf seine früheren Auftritte bei Veranstaltungen, an denen Rechtsradikale und Nationalisten teilnahmen, anspricht. Doch auch damit versteht Nawalny umzugehen und erklärt offen, dass er damit kein Problem habe: Im Kampf gegen das Regime müsse man eben auch Allianzen mit Gruppierungen eingehen, mit denen man im Grunde nicht viel gemein habe.
Das Interview, bei dem Nawalny an der Theke einer großen Bar sitzt und direkt in die Kamera spricht, der fragende Regisseur aber unsichtbar bleibt, bildet Rückgrat und roter Faden des Films. Perfekt versteht es der Medienprofi dieses Setting als Bühne zu benützen, um sich bestens zu präsentieren.
Wenn Archivmaterial belegt, wie von offizieller Seite in Russland der Name Nawalnys im Fernsehen verschwiegen wird und nur von "ein Bürger" oder "der Mann" gesprochen wird, wird auch ein Eindruck von der offensichtlichen Angst des Regimes vor dem Oppositionellen vermittelt. Schon grotesk ist, wie sich hier Vladimir Putin vor der Kamera verbiegt, um ja die Nennung des Namens zu vermeiden.
Im Zentrum des Films steht aber der Giftanschlag im August 2020 auf einem Flug vom sibirischen Tomsk nach Moskau. Hautnah dran ist der Film, wenn Nawalnys Frau Julia mit dem Handy dokumentiert, wie sie vom Besuch im Krankenhaus in Omsk, wo das Flugzeug notlandete, abgehalten wird.
Kurz angeschnitten wird die Verlegung nach Deutschland und die Entlarvung des Nervengifts Nowitschok als Ursache des Zusammenbruchs. Viel Raum widmet Roher aber vor allem Nawalnys Erholungsaufenthalt im Schwarzwald. Dort beginnt er nicht nur mit dem bulgarischen Enthüllungsjournalisten Christo Grozev vom investigativen Netzwerk Bellingcat und Maria Pevchikh, Chefermittlerin seiner Antikorruptionsstiftung FBK, zum Giftanschlag zu recherchieren, sondern es gelingt ihm auch in einem Telefonat, einen beteiligten Wissenschaftler zum Reden zu bringen.
Echte Thrillerspannung bietet nicht nur diese Szene und die anschließende Veröffentlichung des Videos, sondern auch das Finale mit Nawalnys Rückflug nach Moskau im Januar 2021. Während am Moskauer Flughafen zahllose Anhänger die Ankunft erwarten und die Polizei hart gegen sie vorgeht, ist unklar, was mit Nawalny nach seiner Ankunft passieren wird. Bekanntermaßen wird er - wie befürchtet - verhaftet und im März 2022 zu neun Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt.
Doch mit dem Finale kehrt der Film, der auch Einblick in Nawalnys Familie mit der engagierten Frau Julia und der 19-jährigen Tochter Dascha bietet, während Sohn Zakhar am Rande bleibt, auch zur einleitenden Frage zurück. So klar die Position des Films ist, so klar ist Nawalnys Botschaft: "Gebt nicht auf, denn die Tatenlosigkeit des Volks sichert die Herrschaft der Mächtigen!"
Formal ist das sicher kein aufregender Film, doch seine Aktualität, der starke Protagonist und eine Regie, die die Fakten geschickt bündelt und zu einer spannenden Erzählung verdichtet, sorgen für 90 packende Minuten. Aber auch das entschiedene und trotz allem Mut machende Plädoyer für Zivilcourage und Widerstand sowie die Einblicke in die medienpolitischen Methoden im Russland Putins und dessen harten und unerbittlichen Polizeiapparat machen diesen Dokumentarfilm sehenswert.
Navalny USA 2022 Regie: Daniel Roher Dokumentarfilm mit: Alexei Navalny, Yulia Navalnaya, Dasha Navalnaya, Zakhar Navalny, Maria Pevchikh, Christo Grozev, Leonid Volkov, Kira Yarmysh Länge: 98 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Metrokino Bregenz (ab 13.5.), Skino Schaan und Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Nawalny"
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