Um einen Lieblingsverein zu finden, will der autistische Jason mit seinem Vater ein Heimspiel jeder Mannschaft der ersten, zweiten und dritten deutschen Liga sehen – nicht im Fernsehen, sondern live im Stadion: Marc Rothemund gelang nach einer wahren Geschichte eine leichthändig zwischen Ernst und Witz pendelnde, einfühlsame Tragikomödie.
Als Vorlage diente Marc Rothemund das 2017 erschienene autobiographische Buch "Wir Wochenendrebellen", in dem Mirko von Juterczenko und sein autistischer Sohn Jason von ihren Wochenendtrips zu den Heimspielen der 56 deutschen Profifußballvereine erzählen. Nach einem kurzen Blick auf das Kleinkind Jason, bei dem das Asperger-Syndrom festgestellt wird, springt der Regisseur zum zehnjährigen Jungen und bietet mit knappen, aber prägnanten Szenen Einblick in dessen Situation, aber auch in die Schwierigkeit der Umwelt, mit dessen Beeinträchtigung umzugehen.
In der Schule wird er gemobbt, auch weil er sich für Astrophysik statt für Fußball interessiert. Nicht akzeptieren kann er es, wenn jemand anderer bei der Bushaltestelle auf seinem Platz sitzt, und genaue Regeln bestimmen auch das Leben in der Familie. In Aufzugsfahrten bringt Rothemund später eine treffende Metapher für Jasons Situation: Gefangen ist er quasi im Lift, entkommen kann er ihm nicht, denn wie eine Kinderärztin am Beginn erklärt, ist das Asperger-Syndrom eine Beeinträchtigung, die nicht heilbar ist.
Als nach mehreren Vorfällen in der Schule eine Versetzung auf eine Förderschule droht, schließt Jason (Cecilio Andresen) mit seinem Vater (Florian David Fitz) eine Vereinbarung: Jason wird sich in der Schule bemühen, sich nicht mehr provozieren zu lassen, wenn der Vater ihn im Gegenzug jeden Samstag quer durch Deutschland zu einem Heimspiel einer Profimannschaft begleitet. Einen Lieblingsverein kann der stets streng logisch argumentierende Jason nämlich nur finden, wenn er nicht nur alle Mannschaften, sondern auch deren Stadien auf Kriterien wie Fankultur, Nachhaltigkeit und behindertengerechte Toiletten geprüft hat.
So erzählt Rothemund einerseits eine Vater-Sohn-Geschichte, andererseits ist das aber auch ein Fußballfilm. Großartig vermittelt er in den voll besetzten Stadien von Nürnberg, Bayern München, BVB Dortmund oder Schalke 04 mit Fangesängen die mitreißende Stimmung und das Gemeinschaftsgefühl.
Gleichzeitig muss sich Jason dabei aber auch immer wieder überwinden, denn die Menschenmengen, körperliche Nähe und Lärm stellen extreme Belastungen für ihn dar. So wächst er auch mit dieser Tour, lernt mit den Herausforderungen umzugehen, während andererseits die Tonkulisse ebenso wie die Bildsprache - wie schon zuvor in Schulszenen - eindrücklich spürbar machen, wie die Reizüberflutung den Jungen fordert.
Ganz auf Florian David Fitz und den fulminant spielenden neunjährigen Cecilio Andresen ist "Wochenendrebellen" zugeschnitten. Blendend harmonieren sie, intensiv vermittelt Fitz die Liebe, aber auch die Belastung des Vaters, während Andresen berührend die Gefangenheit Jasons in seinem starren System, aber auch seine daraus für die Umwelt schwer zu ertragende Sturheit erfahrbar macht.
Flott wechseln die Szenen, mit einer Montagesequenz, in der Schule, Wochenendtrips und Familienleben gerafft werden, wird zusätzlich das Tempo hoch gehalten und auch die Familiensituation mit Gattin und einem Baby sowie Großeltern kommt nicht zu kurz. Mit Jasons entschlossenem Auftreten gegen Lebensmittelverschwendung und für den öffentlichen Verkehr kommt aber auch die aktuelle Umweltthematik ins Spiel und mit dem Blick auf die Baugeschichte bzw. die Namen der Stadien fehlt auch ein politisches Statement nicht.
Das klingt nach einem überladenen Film, doch beiläufig werden diese vielfältigen Aspekte eingeflochten und immer hält Rothemund die Fäden sicher in der Hand. Ein Rädchen greift da ins andere, perfekt versteht es der 55-Jährige auf der Klaviatur der Gefühle der Zuschauer:innen zu spielen und diese dabei freilich auch zu manipulieren.
Das zeigt sich vor allem beim Musikeinsatz, wenn insgesamt doch zu extensiv immer wieder leichte Pop-Songs von "Lean on Me" über "Rebellenherz" von Sportfreunde Stiller und "Hero" von Family of the Year bis zu "Tage wie diese" von den Toten Hosen eingesetzt werden, um die Stimmung anzuheizen.
Doch diese kalkulierte Gefühlsmaschine nimmt man Rothemund nicht übel, denn stets ist auch sein Engagement spürbar, mit diesem Film Verständnis für die Situation und die Gefühlswelt von Menschen mit Autismus zu wecken und der Stigmatisierung entgegenzuwirken: Bei der breiten Masse kann diese ebenso leichthändige wie feinfühlige Tragikomödie, die das Zeug zum Crowdpleaser hat, wohl mehr dazu beitragen als zahlreiche wissenschaftliche Artikel.
Wochenendrebellen Deutschland 2023 Regie: Marc Rothemund mit: Florian David Fitz, Cecilio Andresen, Aylin Tezel, Joachim Król, Ilknur Boyraz Länge: 109 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Skino Schaan.
Trailer zu "Wochenendrebellen"
Comments