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Where the Wind Comes From

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 23 Stunden
  • 3 Min. Lesezeit
"Where the Wind Comes From": Poetisches Roadmovie über die Träume junger Tunesier:innen
"Where the Wind Comes From": Poetisches Roadmovie über die Träume junger Tunesier:innen

Amel Guellaty erzählt vor dem Hintergrund der tristen sozialen Situation Tunesiens einfühlsam von den Träumen einer jungen Generation: Ein poetisches Roadmovie, das mit seinen kräftigen Farben und dem Widerstandswillen der beiden ungleichen Protagonist:innen den Verhältnissen zum Trotz Lebensfreude und Optimismus verbreitet.


Längst sind die Hoffnungen auf einen Aufbruch, die der "Arabische Frühling" 2010 weckte, verflogen. Keine Zukunftsperspektiven sieht die 19-jährige Alyssa (Eya Bellagha), die zudem der Tod ihres Vaters belastet, in ihrem eigenen Land und träumt von einer Emigration nach Europa.


Nicht nur in der Schule flüchtet sie aus dem Alltag in Träume, in denen Amel Guellaty den Ton komplett weglässt und die Lehrerin plötzlich tanzen lässt, sondern auch später taucht sie in poetischen Szenen immer wieder in eine Traumwelt ab, sieht sich mit einer Freundin in einem Club dem Boden entschweben oder sieht auf der Fensterbank einen prächtig bunten Vogel.


Seit Kindertagen ist sie mit dem 23-jährigen Nachbarssohn Mehdi (Slim Baccar) befreundet, Paar sind sie dennoch keines. Mehdi hat zwar einen Abschluss als IT-Techniker, aber einerseits findet er in der Branche keinen Job und andererseits möchte er sowieso viel lieber als Comic-Zeichner reüssieren. So verarbeitet er auch Alyssas Träume in Porträts, in denen er Alyssas Kopf surrealistisch verzerrt.


Mehr noch als die Schule hält Alyssa aber die Fürsorge um ihre psychisch kranke Mutter und um ihre kleine Schwester von einer Flucht aus Tunesien ab. Als sie aber eine Ausschreibung für einen Zeichenwettbewerb auf der in Südtunesien gelegenen Insel Djerba entdeckt, bei dem ein Stipendium in Deutschland gewonnen werden kann, gibt es für sie kein Halten mehr. Alles unternimmt sie, damit Mehdi am Wettbewerb auf der 500 Kilometer von Tunis entfernten Insel teilnehmen kann. Weil aber die Busfahrer streiken und ihre finanziellen Mittel sehr beschränkt sind, greift sie schließlich auch zu illegalen Mitteln, um ihr Ziel zu erreichen.


Damit setzt ein klassisches Roadmovie ein, bei dem sich die beiden gegensätzlichen Protagonist:innen aneinander reiben können. Während Alyssa nämlich immer selbstbewusst auftritt, nicht nur einen Wagen klaut, sondern auch in einer Raststätte mit einem entsprechenden Trick Kekspackungen mitgehen lässt und es auch mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, tritt Mehdi immer schüchtern und zurückhaltend auf. – Über die individuelle Geschichte hinaus spiegelt sich in den beiden Protagonist:innen dabei unübersehbar das Lebensgefühl einer ganzen jungen Generation Tunesiens.


Etwas schematisch wechseln zwar Fahrtszenen, die in Flugaufnahmen immer wieder den Blick auf die weiten Felder öffnen oder mit dem Blick auf halbverfallene Häuser den maroden Zustand des Landes vermitteln, mit Begegnungen, doch das natürliche Spiel von Eya Bellagha und Slim Baccar, die bestens harmonieren, und die ebenso sichere wie ruhige Erzählweise Guellatys halten "Where the Wind Comes From" mühelos am Laufen.


Sehr geradlinig und ganz auf Augenhöhe mit ihren beiden Protagonist:innen erzählt die 37-jährigen Regisseurin. In jeder Szene sind sie präsent und stets nah an ihnen dran ist die Kamera. Prägnant werden so die gegensätzlichen Charaktere herausgearbeitet, während die Begegnungen auch Einblick in die Situation des Landes bieten. Da wird nicht nur ein großes soziales Gefälle sichtbar, wenn das Duo eine Nacht in der modernen Villa von Bekannten Mehdis, die zudem vorzugsweise Französisch sprechen, sichtbar, sondern in einer beunruhigenden Begegnung Alyssas mit zwei jungen Moslems zeigt sich auch eine aggressive Misogynie.


Gleichzeitig verbreiten aber nicht nur die Leidenschaftlichkeit Alyssas hier Optimismus, sondern ganz entscheidend auch die großteils lichtdurchfluteten und von kräftigen Farben bestimmten Bilder von Kamerafrau Frida Marzouk. Auch auf dieser visuellen Ebene wird dabei der Kontrast zwischen Alyssa und Mehdi betont, wenn sie stets rot und er immer blau gekleidet ist.


Auch die Erwartung, dass aus der Freundschaft eine Liebesbeziehung werden könnte, unterwandert Guellaty, indem sie ihr Langfilmdebüt vielmehr einen Haken in eine andere Richtung schlagen lässt. Zu überraschen versteht aber auch das Ende. Statt eines großen Triumphs stet hier ein Neubeginn mit zwei unterschiedlichen Wegen die individuellen Träume zu verwirklichen. Ob dies freilich gelingt, wird in diesem unaufgeregten, aber genauen und sicher die Balance zwischen Ernst und Humor wahrenden Roadmovie erfreulicherweise offen gelassen.

 

 

Where the Wind Comes From

Tunesien / Katar / Frankreich 2025

Regie: Amel Guellaty

mit: Eya Bellagha, Slim Baccar, Sondos Belhassen, Maya Blouza, Mohamed Grayaâ, Lobna Noomene

Länge: 100 min.



Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "Where the Wind Comes From"



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