Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
- Walter Gasperi
- vor 6 Stunden
- 4 Min. Lesezeit

"Good Bye, Lenin!"-Regisseur Wolfgang Becker erzählt in seinem letzten Spielfilm leichthändig von einem vermeintlichen Helden der ehemaligen DDR, von Wahrheit und Lüge, falschen Geschichtsbildern und Erinnerungskultur – und vom Aufblühen einer Liebe: Eine vor Witz sprühende, wunderbar ironische und von einem herausragenden Ensemble getragene, schwungvolle Komödie.
Wolfgang Becker verfilmte Maxim Leos 2022 erschienenen Roman "Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße" im Bewusstsein, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Dennoch gibt es nichts Schweres in diesem Film, sondern er ist durchzogen von wunderbarer Leichtigkeit. Bald nach Abschluss der Dreharbeiten starb Becker im Dezember 2024 im Alter von 70 Jahren. Nur den ersten Rohschnitt konnte er noch begutachten, fertiggestellt wurde die Komödie schließlich vom Regisseur Achim von Borries, der angesichts der Krankheit von Becker schon früh in das Projekt einbezogen worden war.
Nur sechs Filme drehte Becker in seiner fast 40-jährigen Karriere. Schon sein Abschlussfilm an der Deutschen Film und Fernsehakademie Berlin "Schmetterlinge" (1988) gewann in Locarno den Goldenen Leoparden, zu seinem größten Erfolg entwickelte sich aber "Good Bye, Lenin" (2003).
Wie in dieser Komödie, in der ein Sohn auch nach dem Fall der Berliner Mauer für seine schwerkranke Mutter die Illusion des Fortbestehens der DDR aufrecht erhält, erzählt Becker auch in seinem letzten Film einerseits eine deutsch-deutsche Geschichte und andererseits von einer Täuschung.
Einen liebevoll-ironischen Ton schlägt "Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße" schon mit dem Einstieg an, in dem mittels einer Modelleisenbahn von der größten Massenflucht aus der DDR im Jahr 1984 erzählt wird: Durch eine falsch gestellte Weiche an dem an der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin gelegenen Bahnhof Friedrichstraße fuhr damals eine S-Bahn mit 127 DDR-Bürgern vom Osten Berlins in den Westen.
Fiktiv ist diese Geschichte und bildet auch nur den Ausgangs- und Angelpunkt des 2019 spielenden Films. Anlässlich des 30. Jahrestags des Mauerfalls will ein Magazin eine große und neue Story zur DDR bringen. Das Studium von Stasi-Akten bringt den Journalisten Alexander Landmann (Leon Ulrich) auf die Spur von Micha Hartung (Charly Hübner), der damals die Weiche falsch gestellt und so die Flucht organisiert haben soll.
Landmann macht Hartung, der nun die Videothek "The Last Tycoon" im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg führt und vor der Pleite steht, ausfindig. Zeigt der ziemlich verwahrloste Videothekar zunächst wenig Interesse, seine Geschichte zu erzählen, da es keine geplante Aktion gab, sondern die Umleitung des Zuges mehr aus Zufall und einem Versehen resultierte, ändert er seine Meinung als Landmann ihm Geld anbietet: Er bauscht die Geschichte auf und stilisiert sich zum Regimegegner, der für seine Tat monatelang im Stasi-Gefängnis saß.
Geschockt ist Hartung, als er durch die Reportage, in der Landmann zusätzlich noch Einiges ausgeschmückt hat, zum Helden aufsteigt. Dennoch spielt dieser Loser, den der Chefredakteur des Magazins sogar einen ostdeutschen Oskar Schindler sieht, weiterhin mit, als er in eine Talk-Show eingeladen wird, den Bundespräsidenten (Bernhard Schütz) im Schloss Bellevue besuchen und schließlich sogar im Bundestag die Gedenkrede zum 30. Jahrestag des Mauerfalls halten soll.
Zum Ruhm kommt auch die Liebe, als er die mit Beziehungsproblemen kämpfende Staatsanwältin Paula (Christiane Paul) kennenlernt. Sie glaubt, dass Hartung ihr Leben entscheidend beeinflusst hat, da sie 1984 als Kind mit ihrer Mutter im Zug saß, der den Weg in den Westen nahm.
Nur ein Bruchteil der liebevoll gezeichneten Figuren und Szenen, die Becker auffährt ist das aber, denn bald mischen auch noch ein ehemaliger DDR-Bürgerrechtskämpfer mit "Rasputin Bart" (Thorsten Merten) und ein Ex-Stasi-Oberst (Peter Kurth) mit und auch ein Schauspieler (Daniel Brühl) tritt auf, der Hartung studieren soll, um ihn in einer TV-Serie zu spielen.
Es ist nicht nur ein erlesener Cast, den Becker hier versammelt hat, sondern auch ein bewegendes Zusammentreffen der Schauspieler:innen seiner früheren Filme. So spielten Christiane Paul und Jürgen Vogel schon in Beckers zweitem Spielfilm "Das Leben ist eine Baustelle" (1997) die Hauptrollen und mit Daniel Brühl und Peter Kurth arbeitete er nicht nur bei "Good Bye, Lenin", sondern auch bei der Daniel Kehlmann-Verfilmung "Ich und Kaminski" (2007).
Großes Vergnügen bereitet es diesem lustvoll aufspielenden Ensemble zuzusehen, das den Figuren Ecken und Kanten verleiht. Diese werden aber von Becker immer so versöhnlich und warmherzig gezeichnet, dass man selbst für den Stasi-Oberst Sympathien entwickeln kann.
Von wunderbar augenzwinkernder Ironie ist diese Komödie durchzogen, wenn mit Sternschnuppen oder einem Feuerwerk mit Kitsch gespielt wird, aber auch vor klamaukigen Szenen schreckt Becker nicht zurück. Wie er dabei auch Heldenaufbau, falsche Geschichtsbilder, mediale Vermarktung und Erinnerungskultur hinterfragt, wirkt wie eine Aktualisierung des Satzes "When the legend becomes fact, print the legend" in John Fords Western "The Man Who Shot Liberty Valance".
Gleichzeitig kommt mit der Beziehung zwischen Hartung und der Staatsanwältin auch eine Liebesgeschichte nicht zu kurz, in der zwei verlorene und einsame Menschen, die von Charly Hübner und Christiane Paul mit viel Gefühl gespielt werden, Halt und Glück finden, auch wenn darüber immer das Damoklesschwert von Hartungs Täuschung droht.
Wie leichthändig Becker diese Fülle, zu der auch noch ein Running Gag mit einer Spinne und über Hartungs Job als Videothekar zahlreiche Filmverweise von Sophie Marceau über Louis de Funès bis zu Robert De Niro und auf Klassiker der Filmgeschichte kommen, unter einen Hut bringt, macht seinen letzten Film zu einem großen und herzerwärmenden Vergnügen.
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Deutschland 2025
Regie: Wolfgang Becker, Achim von Borries
mit: Charly Hübner, Christiane Paul, Daniel Brühl, Leonie Benesch, Jürgen Vogel, Katarina Witt
Länge: 112 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.
Trailer zu "Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße"
