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When We Were Sisters

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 2 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
"When We Were Sisters": Starkes Familien- und Coming-of-Age-Drama
"When We Were Sisters": Starkes Familien- und Coming-of-Age-Drama

Im ersten gemeinsamen Sommerurlaub einer Patchwork-Familie driftet ein frisch verliebtes Paar zunehmend auseinander, während sich die beiden aus früheren Beziehungen stammenden Teenager-Töchter langsam näherkommen: Lisa Brühlmann lotet mit konzentrierter Inszenierung und starkem Ensemble differenziert und dicht das labile Beziehungsgefüge, vor allem die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung aus.


Lisa Brühlmann lässt ihren nach ihrem gefeierten Langfilmdebüt "Blue My Mind" (2017) zweiten Kinofilm 1996 spielen. Hier kann man sich einerseits noch nicht ins Smartphone flüchten, um unangenehme Gespräche zu vermeiden, andererseits ist man im Gegensatz zu heute im griechischen Urlaubsresort relativ abgeschottet. Während man heute jederzeit mit dem Smartphone stundenlang mit Bekannten und Freunden in der Heimat telefonieren kann, müssen die Teenager Valeska (Paula Rappaport) und Lena (Malou Mösli) noch vor der Telefonkabine des Hotels anstehen, um zu versuchen mit ihrem Freund bzw. ihrer Mutter kurz sprechen zu können. - Sofern diese dann überhaupt erreichbar sind.


Gleichzeitig lässt die Situierung Mitte der 1990er Jahre auch vermuten, dass persönliche Erfahrungen der 1981 geborenen Regisseurin eingeflossen sind, war sie damals doch in etwa gleich alt wie ihre Protagonistin Valeska (Paula Rappaport). Erstmals beschränkt sich Brühlmann auch nicht darauf Regie zu führen, sondern spielt auch die anspruchsvolle Rolle von Valeskas Mutter Monica.


Wenn diese schon in der ersten Szene zu ihrer Tochter sagt "Versprichst du mir, dass du es mir nicht wieder versaust?" wird schon spürbar, wie schwierig diese Beziehung ist. Einerseits macht Paula Rappaport die innige Liebe der fünfzehnjährigen Valeska zu ihrer Mutter spürbar, andererseits wird es immer wieder zu heftigen Konflikten kommen, macht die immer wieder überforderte Mutter sie doch für jedes Unglück in ihrem Leben verantwortlich.


Dieser Alleinerzieherin steht der Architekt Jacques (Carlos Leal) gegenüber, der seine Tochter Lena (Malou Mösli) gemeinsam mit seiner Frau Anna großgezogen hat. Nun hat er sich getrennt und in Monica eine neue Partnerin gefunden, scheint aber immer noch an seiner früheren Frau zu hängen, deren Foto er in der Geldtasche bei sich trägt.


Ganz auf den Griechenlandurlaub und seine vier Protagonist:innen konzentriert sich Brühlmann und kann so großartig verdichtet das labile Beziehungsgefüge und vor allem die Entwicklung Valeskas ausloten. Den beiden horizontalen Beziehungen zwischen Vater und Mutter bzw. zwischen den beiden Töchtern, stehen dabei die gewissermaßen vertikalen Beziehungen zwischen Mutter bzw. Vater und Tochter gegenüber.


Während Monica und Jacques zunächst ein glückliches Paar sind und Monica ihre Nähe suchende Tochter lieber von sich schiebt, um ungestört mit ihrem neuen Partner zu sein, haben sich die beiden Teenager nicht viel zu sagen. Die ebenso rebellische wie verletzliche Valeska kann nämlich nichts mit der etwas jüngeren und sehr braven Lena (Malou Mösli) anfangen.


Während Lena nachts schläft, streift Valeska nachts lieber durch die Gegend und knutscht mit einem einheimischen Jungen. Wohl absichtlich hat sie dabei aber die Tür des Appartements offen gelassen, sodass Lenas Hund Charlie entflieht. Erst als Valeska erkennt, wie schwer dieser Verlust Lena trifft, öffnet sie sich ihr und langsam entwickelt sich die titelgebende geschwisterliche Beziehung.


Gleichzeitig quälen sie aber auch Schuldgefühle wegen des Verschwindens des Hundes und sie wird auch von ihrer psychisch labilen und zu Esoterik neigenden Mutter immer wieder beschuldigt, ihre Beziehung zu Jacques zu sabotieren. Denn dieser ist eben kein erfolgreicher Architekt, sondern leidet unter Minderwertigkeitskomplexen wegen seiner Arbeitslosigkeit und kämpft mit einem Alkoholproblem.


Immer wieder versucht er Fehler durch großzügige Geschenke auszugleichen, doch zunehmend konfliktbeladen wird die Beziehung zwischen ihm und Monica, während die Töchter sich gegenseitig Halt geben und sich Valeska langsam aus der Abhängigkeit von der Mutter befreit.


Während Kameramann Michael Saxer mit warmen Farben und lichtdurchfluteten Bildern atmosphärisch stimmig und dicht mittelmeerisches Urlaubsambiente evoziert und am ruhigen Nachthimmel der Komet Hale Bopp vorüberzieht, werden auf der Handlungsebene differenziert die emotionalen Stürme ausgelotet. Immer wieder kippen hier nämlich die Beziehungen und Stimmungen, wenn aus einem fröhlichen Miteinander sich ein Konflikt entwickelt oder eine innige Mutter-Tochter-Szene in eine Auseinandersetzung kippt.


Eindrücklich vermittelt Paula Rappaport die Verlorenheit und Verletzlichkeit Valeskas, der wohl immer ein Vater gefehlt hat. Einen starken Gegenpol bildet sie zu Malou Möslis wohl behütet in einer bürgerlichen Familie aufgewachsenen, noch etwas kindlichen Lena. Während Carlos Leal mit zurückhaltendem Spiel die Unsicherheit Jacques, der offenbar nicht weiß, ob er schon für eine neue Beziehung bereit ist, spüren lässt, zeigt Lisa Brühlmann in ihrem starken Coming-of-Age- und Familiendrama keine Scheu, mit leidenschaftlichem Spiel die problematischen Seiten und die psychische Zerrissenheit Monicas erfahrbar zu machen.


Wie der Hund Charlie sich seiner Besitzerin Lena durch die nächtliche Flucht entzieht, so muss sich hier auch Valeska ihrer Mutter, die mit ihrem eigenen Leben und ihrer Beziehung nicht zurechtkommt, entziehen und - wie die streunenden Hunde, die den Film eröffnen und beschließen -, gestärkt durch die Freundschaft zu Lena, ihren eigenen Weg und damit ihre Unabhängigkeit und Freiheit finden.

 

When We Were Sisters Schweiz 2024 Regie: Lisa Brühlmann mit: Lisa Brühlmann, Carlos Leal, Paula Rappaport, Malou Mösli Länge: 102 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "When We Were Sisters"

 



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