Ice Aged
- Walter Gasperi
- vor 3 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Alexandra Sell porträtiert in ihrem berührenden Dokumentarfilm sechs Menschen über 60, die als Kind ihren Traum vom Eiskunstlauf nicht verwirklichen konnten, im Alter sich aber mit großem Einsatz dieser Leidenschaft widmen und sich auf die Adult Figure Skating Competition in Oberstdorf vorbereiten.
Das Voice-over von Alexandra Sell zieht sich durch den Film. Sie erzählt, manchmal allzu poetisch bis blumig, von kindlichen Träumen und deren Scheitern an gesellschaftlichen Zwängen oder familiärem Druck. Kurz halten kann die 1968 in Hamburg geborene Regisseurin so direkt in die Kamera gesprochene Kommentare der Protagonist:innen und kann die Bilder sprechen lassen.
Schon in ihrem Spielfilmdebüt "Die Anfängerin" (2017) erzählte Sell, inspiriert von der Geschichte der einstigen DDR-Eiskunstläuferin Christine Erath, von einer Endfünfzigerin, die nach mehr als 40 Jahren ihre Schlittschuhe wieder anzieht. Während der Dreharbeiten lernte sie den Hobby-Eiskunstläufer Robert Suckale kennen und besuchte auch die seit 2005 in Oberstdorf stattfindende Adult Figure Skating Competition.
So entstand die Idee sechs Hobby-Eiskunstläufer:innen im fortgeschrittenen Alter zu porträtieren. Ausgehend von diesem Wettbewerb blendet Sell "zwei, drei Lichtjahre" zurück und begleitet in Parallelmontage die in Deutschland lebende russische Ingenieurin Elena Rickman, den in den USA lebenden Berliner Robert Suckale, die Niederländerin Toos van Urk sowie die Briten Linda Bernard, David Marzell und Nadia Colbourne bei den Vorbereitungen für den großen Auftritt.
Etwas zu rasch wechselt Sell am Beginn zwar zwischen den Protagonist:innen, lässt den Szenen kaum Raum, sodass man gewisse Zeit braucht um diesen Menschen jenseits der 60 näher zu kommen. Doch mit Fortdauer des Films gewinnen sie zunehmend Profil und ihr Schicksal berührt. Mit Voice-over, schwarzweißen Kindheitsfotos und auch Home-Movies wird bruchstückhaft Einblick in die Biografien und in unerfüllte Träume von einer Karriere als Eiskunstläufer:in geboten.
Da wurde Roland Suckales Talent zwar entdeckt, doch entsprechend dem Willen der Eltern schlug er einen anderen Lebensweg ein. Elena Rickman wurde dagegen in Nordrussland der Kindheitstraum von ihrer Mutter mit Prügel ausgetrieben, während die Britin Linda Bernard zwar in Kindheit und Jugend ein Eiskunstlaufstar und 1968 Olympiateilnehmerin war, dann aber aus familiären Gründen diese Leidenschaft aufgab. Toos van Urk dagegen frönte ihrer Leidenschaft als Kind auf den zugefrorenen niederländischen Seen, bekam aber von ihren Eltern nie richtige Schlittschuhe.
Parallel zum Einblick in die Biografien zeigt Sell, wie die Protagonist:innen im Alter wieder mit Begeisterung und großem Einsatz für diesen Lebenstraum leben und sich für die Adult Figure Skating Competition vorbereiten. Da näht Elena Rickman passende Kostüme für die Veranstaltung, die richtige Musik für den Auftritt wird ausgewählt und immer wieder gleiten die Silver Ager übers Eis.
Wie die Kamera von Alexandra Sell, Martin Farkas und Sophie Krabbe dabei die Bewegungen aufnimmt mit den Protagonist:innen übers Eis gleitet oder deren Kufen folgt, vermittelt eindrücklich die Grazie und Schönheit dieses Sports. Nicht nur in diesen Szenen entwickelt "Ice Aged", dessen Titel mit dem Animationsfilm "Ice Age" spielt, einen großen Fluss, sondern Sell gelingt es auch insgesamt bruchlos zwischen ihren "Stars" zu wechseln.
Eindrücklich vermittelt der Film aber auch, wie mit der Corona-Pandemie und dem Lockdown die Welt abrupt stillstand, wenn plötzlich auch die sonst vielleicht doch zu ausgiebig eingesetzte Musik aussetzt, Stille einkehrt, Eishallen zu Impfzentren werden und man den Nachbarn Mahlzeiten vor die Tür stellt.
In den Oberstdorfer Wettbewerb des Jahres 2020 sollte "Ice Aged" münden, doch wurde dieser ebenso wie im Folgejahr aufgrund der Pandemie abgesagt, sodass der Schlusspunkt erst 2022 gefilmt werden konnte.
Mit dieser Veranstaltung kommt auch Sissy Krick ins Spiel, die als 17-Jährige aufgrund gesundheitlicher Probleme ihre Karriere als Eiskunstläuferin beenden musste, bei Olympischen Spielen und anderen Großereignissen aber als Preisrichterin tätig war, diese Aufgabe als über 70-Jährige nun aber nur noch bei Hobby-Veranstaltungen ausführen darf.
Auch Krick widmet sich Sell ausführlich und zeichnet so mit empathischem Blick nicht nur berührende Porträts, sondern feiert auch Aktivität und Leidenschaft im Alter, die ihre Protagonist:innen trotz teils schwerer Schicksalsschläge nicht verbittern, sondern ihre Lebensfreude bewahren oder neu finden lässt.
Ice Aged
Deutschland 2024
Regie: Alexandra Sell
Dokumentarfilm mit Elena Rickmann, Roland Suckale, Toos van Urk Wintjes, Nadja Colbourne, Linda Bernard, David Marzell, Sissy Krick
Länge: 110 min.
Läuft derzeit in der Kinothek Lustenau.
Trailer zu "Ice Aged"
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