In Frankreich entwickelte sich die Komödie um zwei Ganoven, die sich in einem Ferienlager für junge Erwachsene mit geistiger Behinderung vor der Polizei verstecken, zum Kassenschlager: Simpel gestrickte Kinokost, aber vor allem dank der Laiendarsteller:innen mit Beeinträchtigung doch sympathisch.
Mit einer Parallelmontage lässt der französische Comedian Artus, der selbst auch die Rolle des Ganoven Paulo spielt, sein Spielfilmdebüt rasant beginnen: Während eine Gruppe von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung ihren Bus für die Fahrt ins Ferienlager belädt, rauben Paulo und sein Vater (Clovis Cornillac) ein Juweliergeschäft aus.
Trotz der kriminellen Tat lässt sie nicht nur ihre Ungeschicklichkeit, sondern auch der Umstand, dass Paulo einem in Schach gehaltenen Paar während des Überfalls einen Verlobungsring gibt, sympathisch erscheinen. Kaum aus dem Juweliergeschäft entkommen, verunsichert die beiden Ganoven aber die massive Polizeipräsenz, sodass der Vater beim Anblick des Busses mit der reisebereiten Gruppe Paulo als den noch ausständigen Sylvain und sich selbst als dessen Betreuer ausgibt.
Vorhersehbar ist, dass das Duo im Laufe des Urlaubs auf einer Berghütte im malerischen Vercors ihre zunächst ablehnende und desinteressierte Einstellung gegenüber den Urlaubern mit ihren sehr unterschiedlichen Beeinträchtigung ändern wird. Da wird der Papa vor allem eine Beziehung zum Fußball begeisterten Baptiste (Theophile Leroy) aufbauen, während Paulo / Sylvain sich um Marie (Marie Colin) zu kümmern beginnt, der immer wieder ein Ball, eine Faust oder auch ein Ruderblatt ins Gesicht fliegt. Aber er wird auch Freundschaft mit Arnaud (Arnaud Tupense) und den anderen schließen und zudem Interesse für die Betreuerin Alice (Alice Belaïdi) entwickeln.
Simpel gestrickt ist diese Komödie, die in Frankreich seit dem Frühjahr über zehn Millionen Zuschauer:innen in die Kinos lockte und damit der erfolgreichste französische Film seit zehn Jahren ist. Sie lebt nicht von einer stringenten Handlung und großen Konflikten, sondern vielmehr von einzelnen Szenen und den prägnant gezeichneten jungen Erwachsenen.
Langsam wachsen einem diese dank des authentischen Spiels der Laiendarsteller:innen, die selbst eine geistige Beeinträchtigung haben, ans Herz. Gleichzeitig sieht man aber auch, wie sie durch die Fürsorge und die Unbekümmertheit der beiden Ganoven, von denen sich vor allem der Vater nicht immer an die Regeln fürs Ferienlager hält, sukzessive aufblühen.
Ähnlich wie Michael Curtiz´ Weihnachtsklassiker "Wir sind keine Engel" (1955) erzählt so auch Artus von der Wandlung der beiden Ganoven, von einer Resozialisierung und Entdeckung der Menschlichkeit, während gleichzeitig durch den warmherzigen Blick nicht mehr die Behinderung, sondern die Menschen dahinter ins Zentrum rücken.
Mit flotter Szenenfolge, die klassische Ferienlageraktivitäten vom Bastelnachmittag über einen Rätselabend und einen Meditationsnachmittag bis zu einem Einkauf im Supermarkt, gemeinsamem Kochen und einem Ruderausflug abhakt, hält Artus diese Komödie recht mühelos am Laufen. Er sorgt zwar nicht für große Lacher, zaubert aber doch immer wieder ein Schmunzeln auf die Gesichter des Publikums.
Da sieht man auch darüber hinweg, dass die zwar sehr witzigen, aber auch sehr fragmentarisch eingeschobenen Momente von den Urlaubserfahrungen des vergessenen echten Sylvain, der unabsichtlich bei einem Partytrip nach Spanien das ausgelassene Leben entdeckt, sowie die auf der Kippe stehende Beziehung der Betreuerin zu ihrem Freund, der mit ihr wegen eines lukrativen Jobs in die USA übersiedeln will, angeklebt wirken und überflüssig sind.
Kaum länger haften bleibt so diese Sommerkomödie, aber mit ihrem leichthändigen Plädoyer für Inklusion von Menschen mit Behinderung, ihrer flotten Erzählweise und vor allem den hinreißenden Laiendarsteller:innen bietet sie doch 100 unterhaltsame Kinominuten.
Was ist schon normal? – Un p'tit truc en plus Frankreich 2024 Regie: Artus mit: Artus, Clovis Cornillac, Alice Belaïdi, Marc Riso, Céline Groussard, Gad Abecassis, Ludovic Boul, Stanislas Carmont, Marie Colin, Thibault Conan, Mayane Sarah El Baze, Theophile Leroy Länge: 98 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn, GUK Kino Feldkirch, Scala St. Gallen (O.m.U.) und Skino Schaan (O.m.U.)
Trailer zu "Was ist schon normal? - Un p'tit truc en plus"
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