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Viennale 2024: Randregionen im Fokus

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Mo Harawe bietet in seinem Spielfilmdebüt "The Village Next to Paradise" einen einfühlsamen Einblick in den Alltag in einem somalischen Dorf. Guan Hu entführt in "Gou Zhen – Black Dog" dagegen in eine im Umbruch befindliche chinesische Stadt am Rand der Wüste Gobi.


Der 1992 in Somalia geborene Mo Harawe floh mit knapp 18 Jahren nach Österreich. Nach einem Studium der Visuellen Kommunikation sowie Film an der Kunsthochschule Kassel und mehreren Kurzfilmen präsentiert er nun mit "The Village Next to Paradise" sein Langfilmdebüt.


Nachrichten von einem US-Drohnenangriff und Tötung eines hohen Al-Qaida-Mitglieds versetzen in den ostafrikanischen Staat. Von der westlichen Perspektive verschiebt sich der Blick aber sofort auf die einheimische Ebene, wenn der von Gelegenheitsjobs lebende Mamagade (Ahmed Ali Farah) einen bei dem Angriff als Kollateralschaden umgekommenen Einheimischen begraben muss.


Der alleinerziehende Vater lebt mit seinem etwa achtjährigen Sohn Cigaaal (Ahmed Mohamud Saleban) und seiner Schwester Araweelo (Anab Ahmed Ibrahim), deren Mann sich scheiden lässt, weil die Ehe kinderlos blieb, in einem kleinen Dorf an der Küste. Am Alltag dieser Patchwork-Familie bietet Harawe einen einfühlsamen Einblick in die vielfältigen Probleme des Lebens in Somalia.


Nicht nur die finanzielle Situation ist schwierig, sondern auch die Schule des Sohnes wird wegen Lehrermangel bald geschlossen und die Schwester bekommt ohne Mann keinen Kredit, um eine neue Existenz als Schneiderin aufzubauen. Um das Geld für Cigaals Internatsbesuch in der Stadt aufzutreiben, nimmt Mamargade deshalb auch dubiose Jobs an, bei denen er lieber nicht wissen will, was er außer Ziegen noch auf dem Pickup transportiert.


Geradezu aufreizend linear und einfach erzählt Harawe. Er dramatisiert nicht, sondern schildert in langen Einstellungen, fokussiert auf den Menschen und verzichtet auf inszenatorische Tricks. An den italienischen Neorealismus eines Vittorio de Sica erinnert dieser Film so in seiner Einfachheit, der zwar die Not nicht beschönigt, aber auch nicht in Pessimismus verfällt. Denn einerseits verbreiten hier die in kräftige Farben getauchten Bilder Lebensfreude und Optimismus, andererseits auch die Entschlossenheit, mit der die Schwester für ihre Schneiderei kämpft und der Schulbesuch des Sohnes, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht.


Ungleich rauere Töne schlägt der Chinese Guan Hu in "Gou Zhen – Black Dog" an, der in der am Rand der Wüste Gobi gelegenen Stadt Chixia kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Peking 2008 spielt. Schon die erste Einstellung der endlosen grauen Wüstenlandschaft, durch die ein Bus rast, stimmt auf das triste Ambiente ein. Hier pfeift immer wieder der Wind, es hagelt oder schneit, auch ein Erdbeben bleibt nicht aus und nicht nur der Zoo der Stadt ist in einem desolaten Zustand, sondern auch ganze Straßenzüge.


Streunende Hunde haben hier scheinbar die Herrschaft übernommen und diese verursachen auch einen Unfall des Busses, der anschließend von einem Polizeiwagen in die Stadt geschleppt wird. Wie in einem klassischen Western kehrt mit dem Bus auch ein nach mehrjähriger Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassene 35-jährige Lang in seine Heimatstadt zurück.


Verloren und ziellos wirkt er, spricht kaum ein Wort, bekommt von der Polizei aber einen Job bei der Bekämpfung der streuenden Hunde. Quasi einen Seelenverwandten findet er dabei in einem einsamen schwarzen Windhund, den er nicht den Behörden übergibt, sondern um den er sich kümmert und von dem er dafür in gefährlichen Situationen unterstützt wird. So findet Lang langsam wieder ins Leben zurück und kümmert sich um seinen sterbenden Vater, während in der Stadt die Bulldozer anrücken und ein großes Neubauprojekt umgesetzt werden soll.


So verbindet Guan Hu in seinem durch die großartige Kameraarbeit von Weizhe Gao atmosphärisch dicht in der tristen Stadt verankerten Spielfilm die Geschichte der langsamen Selbstfindung seines charismatischen Protagonisten, seine Entwicklung von Empathie und Mitgefühl in bedrückendem Umfeld mit einer Schilderung des Um- und Aufbruchs Chinas, der hier nichts Glorreiches oder Optimistisches an sich hat. – Ein ebenso kraftvoller wie rauer Film, der auch durch die ungebändigte Energie der zahllosen streunenden Hunde haften bleibt.  

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