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AutorenbildWalter Gasperi

Until Branches Bend


Eine Pfirsichpflückerin entdeckt in einem Pfirsich einen Käfer, doch die Geschäftsleitung reagiert auf die Meldung nicht: Atmosphärisch dichtes, in der Schwebe zwischen Drama und Thriller gehaltenes Debüt der schweizerisch-kanadischen Regisseurin Sophie Jarvis.


Die ersten Bilder widmen sich dem Weg der Pfirsiche vom Pflücken über die Waschanlage bis auf das Fließband einer Konservenfabrik. Aus dem genauen Blick und der realistischen Schilderung der Arbeit auf der Plantage und in der Fabrik sowie der atmosphärisch stimmigen Verankerung des Films im westkanadischen Okanagan Valley, in dem der Pfirsichanbau der Haupterwerbszweig der Bevölkerung ist, bezieht Sophie Jarvis´ Debüt einen beträchtlichen Teil seiner Spannung.


Auch der Dreh auf 16mm-Film verleiht "Until Branches Bend", der bei den heurigen Solothurner Filmtagen mit dem mit 60.000 Schweizer Franken dotierten Prix de Soleure ausgezeichnet wurde, einen realistischen Look. Nichts wirkt hier gekünstelt, sondern die Schauplätze wirken ebenso echt wie die von unverbrauchten Schauspieler:innen gespielten Figuren.


Im Zentrum steht die junge Robin (Grace Glowicki), die in einer Arbeitspause einen Käfer in einem Pfirsich entdeckt und dies sofort ihrem Vorgesetzten (Lochlyn Munro) meldet. Doch in der Chefetage geht man der Sache nicht weiter nach, spielt den Käfer als harmlos herunter, fordert Robin aber auch auf, Stillschweigen zu bewahren.


Einerseits ist nämlich gerade Erntezeit, andererseits haben alle noch den nur wenige Jahre zurückliegenden Mottenbefall im Gedächtnis, der auch Robins Eltern ihre Plantage kostete. Doch Robin, die mit ihrer jüngeren Schwester Laney (Alexandra Roberts) im Haus der verstorbenen Eltern lebt, lässt die Sache keine Ruhe. Sie fotografiert den Käfer und konfrontiert ein Forschungszentrum mit dem Foto. Gleichzeitig ist Robin aber auch von ihrem verheirateten Vorgesetzten schwanger und strebt eine Abtreibung an.


Ruhig und unaufgeregt zeichnet Jarvis das Porträt einer jungen Frau, die entschlossen ihren Weg geht. Sie lässt sich weder von ihrer Firma noch bei der Beratung zur Abtreibung einschüchtern, sondern handelt aus Überzeugung. Dichte Spannung baut die Debütantin dabei durch die Fokussierung auf der von Grace Glowicki stark gespielten Robin und der Verankerung der Handlung in dem atmosphärisch dicht eingefangenen Ambiente ein. Großartig beschwören die lichtdurchfluteten Bilder von Kameramann Jeremy Cox einerseits eine Sommeridylle, lösen aber gleichzeitig in Verbindung mit der ungewöhnlichen Filmmusik von Jarvis´ Bruder Kieran, die vor allem mit schrillen Flöten- und Celloklängen arbeitet, ein Gefühl der Verunsicherung und Beunruhigung aus.


Vom Drama einer ungewollt Schwangeren entwickelt sich "Until Branches Bend" so zunehmend zum Thriller, als sich die Bevölkerung nach Schließung der Pfirsichplantagen durch die Lebensmittelbehörde gegen Robin richtet und diese bedroht. Eindrücklich vermittelt Jarvis dabei die psychische Belastung der schwangeren Frau, deren Alpträume und Handlungen auch an eine Paranoia denken lassen, bis sich die Spannung in einer geradezu biblischen Plage entlädt.


Wie sich Robin dabei dieser Katastrophe stellt, erinnert an Kirsten Dunsts Auftritt in Lars von Triers Weltuntergangsfilm "Melancholia". Wie der Däne hält auch Jarvis ihren Film in der Schwebe zwischen Realismus und Surrealismus. Sie kritisiert den Vorrang von wirtschaftlichem Denken vor Sicherheitsmaßnahmen ebenso wie die Folgen von Pestiziden, erzählt im Kern aber auch ein persönliches Drama von der Selbstbehauptung einer Frau in einer Gesellschaft, in der immer noch die Männer das Sagen haben.


So sehr "Until Branches Bend" dabei auch von der stimmigen geographischen Verankerung lebt, so universell ist dieser Film gleichzeitig im Blick auf das Verhältnis von Wirtschaft und Ökologie und auf eine Frau, die auf sich selbst gestellt ist. – Unterstützung findet Robin dabei aber nicht nur bei ihrer Schwester Laney, sondern auch bei der Ehefrau ihres Ex-Geliebten: Die Solidarität dieser Frauen erscheint als Bollwerk gegen das egoistische und rein wirtschaftliche Denken der Männer.


Until Branches Bend Kanada / Schweiz 2022 Regie: Sophie Jarvis mit: Grace Glowicki, Alexandra Roberts, Quelemia Sparrow, Lochlyn Munro, Antoine DesRochers, Cole Sparrow-Crawford, Paul Kular Länge: 98 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Until Branches Bend"



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