Meister der Reduktion und Stilisierung: Thomas Arslan
- Walter Gasperi
- vor 4 Tagen
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Thomas Arslan wurde in den 1990er Jahren mit einer Trilogie über deutsch-türkische Berliner Jugendliche bekannt, ehe er sich mit Filmen wie "Im Schatten" (2010) oder "Gold" (2013) als Meister eines minimalistischen Genrekinos bewies. Das Österreichische Filmmuseum widmet dem deutschen Filmregisseur derzeit unter dem Titel "In Bewegung" eine Retrospektive.
Nach einem missglückten Coup verlässt der Berufskriminelle Trojan in "Im Schatten" (2010) Berlin. Der 14 Jahre später entstandene "Verbrannte Erde" (2024) beginnt in Essen. Dort gelingt es Trojan nicht die bei einem Einbruch erbeuteten Uhren zu verkaufen, sodass er wieder nach Berlin zurückkehrt.
In dieser Ortsveränderung spiegeln sich auch persönliche Erfahrungen des 1962 als Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter in Essen geborenen Regisseurs. Thomas Arslan verbrachte nämlich den Großteil seiner Kindheit in Essen, studierte dann zwar kurze Zeit Germanistik in München, lebt aber nun seit seinem Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (1986 bis 1992) in Berlin und ist dort auch seit 2007 als Dozent an der Universität der Künste tätig.
Nach seinem Spielfilmdebüt "Mach die Musik leiser" (1994), in dem er eine Gruppe Jugendlicher porträtierte, die kurz vor dem Schulabschluss stehen, wurde er in den späten 1990er Jahre mit seiner Berlin-Trilogie "Geschwister – Kardesler" (1997), "Dealer" (1999) und "Der schöne Tag" (2001) international bekannt. In einer Rezension von "Der schöne Tag" prägte der Filmjournalist Rainer Gansera dabei auch den Begriff der Berliner Schule und schrieb: "Alle drei (das heißt: Thomas Arslan, Angela Schanelec und Christian Petzold) wollen die Wirklichkeit weder decouvrieren noch ironisieren. Sie erzeugen – ästhetisch am Gegenpol des Dogma-Vitalismus – Evidenzen, indem sie ihren Figuren Schönheit und Würde verleihen» (Süddeutsche Zeitung, 3. 11.2001).
Alltagsrealismus kennzeichnet so die frühen Filme von Arslan. Geredet wird eher wenig, genau ist dafür der Blick auf Figuren und Milieu. Steht dabei im Zentrum von "Geschwister – Kardesler" noch die Schilderung des Lebens junger deutschtürkischer Geschwister in Berlin-Kreuzberg, so kommt in "Dealer" mit einem Kleinkriminellen, der sich durchzuschlagen versucht, schon ein Genreelement ins Spiel. In "Der schöne Tag" konzentriert sich Arslan dagegen auf 24 Stunden im Leben einer türkischstämmigen jungen Schauspielerin und Synchronsprecherin "im sommerlichen Berlin, die sich von ihrem Freund trennt, ihre Mutter und ihre Schwester trifft und einen jungen Mann kennen lernt, ohne mit ihm eine neue Beziehung anknüpfen zu können" (filmdienst).
Wie in dieser Trilogie sind auch in den meisten anderen Filmen Arslans die Menschen immer in Bewegung und kommen selten zur Ruhe. Persönlich umgesetzt hat der Filmemacher diesen Drang zur Bewegung mit seinem Reisefilm "Aus der Ferne" (2006), in dem er mit der Kamera eine Reise durch die Türkei dokumentiert.
Ganz im Gegensatz dazu beschränkt sich "Ferien" (2007) auf ein Ferienhaus in der Uckermark, in dem eine Familie zusammenkommt. Sukzessive deckt Arslan dabei mit konzentrierter Inszenierung und einem starken Ensemble Spannungen und Konflikte auf, die in Kontrast zur Sommerstimmung und zum Titel stehen.
Wiederum gewissermaßen in Opposition zu "Ferien" steht der folgende "Im Schatten" (2010). Denn im Gegensatz zur – wenn auch brüchigen – Gemeinschaft steht hier mit Trojan ein Berufskrimineller im Zentrum, der alle persönlichen Kontakte vermeidet. Andererseits tritt an das alltägliche Urlaubssetting ein Spiel mit dem Genrekino, wenn Arslan in der Nachfolge von Jean-Pierre Melvilles "Le samourai" ebenso kühl und nüchtern wie konzentriert den Wegen Trojans folgt.
Wie dieser Kriminelle sich dabei als absoluter Profi erweist, so besticht auch Arslans Inszenierung durch höchste Ökonomie und Präzision. Kein Bild und keinen Ton gibt es hier zu viel, aufs Wesentliche entschlacktes Kino ist dies.
Die gleichen Qualitäten zeichnet auch der 14 Jahre später entstandene "Verbrannte Erde" (2024) aus, mit dem die Geschichte Trojans weitererzählt wird. Gleichzeitig vermitteln die beiden Filme aber auch Veränderungen in der Stadt Berlin und in den Haltungen der Figuren. Einzig Trojan scheint hier eine Konstante zu sein.
Wie Trojan in diesen meisterhaften Gangsterfilmen stets in Berlin unterwegs ist, keine feste Behausung zu haben scheint, sondern immer wieder die Hotels wechselt, so sind auch die Protagonisten im Western "Gold" (2011) unterwegs. Auf dramatische Szenen verzichtet der deutsche Filmemacher bei diesem 1898 spielenden Film über den Treck einer Gruppe Deutscher durch Kanada. Arslan konzentriert sich auf alltägliche Arbeiten, aufs Reiten, sich langsam aufbauende Konflikte innerhalb der Gruppe und sich sukzessive steigernde äußere Gefahren.
Wie in seinen anderen Film wird dabei nicht psychologisiert, sondern die Figuren definieren sich über ihre Handlungen. Nie kommt hier Hektik auf, jeder Schnitt ist überlegt gesetzt. In seiner entschlackten und entschleunigten Erzählweise, die dem Zuschauer viel Zeit zum Schauen und Atmen lässt, steht "Gold" ganz in der Nachfolge der Western eines Budd Boetticher und erzählt zuerst und vor allem von dem, was er zeigt: von der sich ändernden Landschaft, den Entbehrungen und Anstrengungen der Reise, der Zeit, die nötig ist, um einen Weg zurückzulegen, wie sich unter den Strapazen die Gruppe langsam zersetzt und sukzessive dezimiert wird, aber auch wie sich ein Mann (Mirko Mandic) und eine Frau (Nina Hoss) durch die gemeinsame Bewältigung von Gefahren ganz langsam näherkommen.
Noch weiter trieb Arslan den Minimalismus im Roadmovie "Helle Nächte" (2017). Ganz auf die Reise eines Vaters mit seinem ihm völlig fremden 14-jährigen Sohn nach Norwegen konzentriert sich der Film. Entspannt reiht er Bilder von der Fahrt in die weite Wald- und Berglandschaft, vom Zelten oder den Tagen in einer Blockhütte aneinander. Wo freilich sonst bei solchen Filmen die äußere Bewegung mit einer inneren Annäherung der Figuren korrespondiert, so scheinen in diesem undramatischen Roadmovie die Vernachlässigungen der Vergangenheit zu groß und die Lebensvorstellungen zu verschieden, als dass sich Vater und Sohn näherkommen könnten.
Gespannt sein darf man schon jetzt auf den nächsten Film dieses großen Stilisten, mit dem angeblich die mit "Im Schatten" und "Verbrannte Erde" begonnene Trojan-Trilogie abgeschlossen werden soll. Zu hoffen bleibt, dass man darauf nicht wieder 14 Jahre warten muss wie nach "Im Schatten" auf die Fortsetzung "Verbrannte Erde".
Weitere Informationen zur Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums und Spieldaten finden Sie hier.
Thomas Arslan über Locationfotos zu "Im Schatten" (21 Minuten)
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