Zwischen ökonomischen Zwängen und religiöser Tradition: Um seinem Sohn die Ausbildung zu finanzieren, beschließt ein nepalesischer Sherpa europäische Alpinisten bei der Besteigung des heiligen Berges Kumbhakarna zu begleiten. – Bildmächtiger Dokumentarfilm, der vielschichtige Einblicke bietet.
"In diesem Film geht es nicht ums Bergsteigen, sondern um Menschen", stellt ein russischer Bergsteiger gegen Ende fest und fasst damit zusammen, was dem Zuschauer im Kino schon längst klar war. Die Polin Eliza Kubarska ist eben nicht an einem spektakulären Kletterfilm interessiert, wie sie in den letzten Jahren vom Red Bull Media House mit "Jäger des Augenblicks" oder "Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance" produziert wurden.
Während dort die Regie darauf abzielt, den Zuschauer mit hautnah geführter Kamera mitten ins Klettern hineinzuziehen und der Fokus ganz auf den westlichen Alpinisten liegt, die sozio-ökonomischen Bedingungen in der Region und der Alltag der einheimischen Menschen aber außen vor bleiben, interessiert sich Kubarska gerade für Letzteres.
Ausgehend von der Legende über drei Brüder, die durch die Götter in Berge verwandelt wurden, von denen der 7711 Meter hohe Kumbhakarna (auch: Jannu) die beiden anderen wie zuvor im menschlichen Leben überragt, schildert die polnische Alpinistin und Dokumentarfilmerin unaufgeregt und geduldig das Leben einer Sherpa-Familie. Sammeln von Yak-Dung, Holzarbeiten oder die Zubereitung von Essen in der auf 4000 Meter gelegenen Sommersiedlung bestimmen hier den Alltag. Dominiert wird das Hochtal aber vom mächtigen Kumbhakarna im Hintergrund.
In großartigen Bildern fängt Kubarska diese majestätische Bergwelt ein und baut in die Alltagsschilderung Diskussionen zwischen dem Sherpa Ngada, der schon neunmal den Mount Everest bestiegen hat, und seiner starken Frau ein. Während sie eine Besteigung des heiligen Berges ablehnt, weist er darauf hin, dass sie das mit diesem Job verbundene Geld unbedingt brauchen, um dem 16-jährigen Sohn Dawa ein Medizinstudium zu ermöglichen.
Weniger authentisch als vielmehr für den Film konstruiert wirken diese Diskussionen zwar, aber plastisch wird dadurch das Spannungsfeld von religiösen Traditionen und ökonomischen Zwängen herausgearbeitet.
Erst etwa in der Mitte des Films kommen zwei russische und ein polnischer Bergsteiger in diesem ursprünglichen Dorf an. Ihr Ziel ist es die noch unbestiegene Ostwand des Kumbhakarna bezwingen. Kletterszenen rücken aber auch jetzt nicht ins Zentrum, sondern ausführlich wird der Aufstieg ins rund 4500 hoch gelegene Basislager geschildert.
Gegensätze treffen dabei nicht nur mit den schwer beladenen, aber schlecht ausgerüsteten einheimischen Trägern auf der einen Seite und den Alpinisten auf der anderen Seite aufeinander, sondern auch mit der angestammten Lebenswelt und dem Trägerjob als wichtiger Einnahmequelle und dem rein sportlichen Interesse. Da mag Ngadas Frau mit Blick auf die Zukunft des Sohnes ihrem Mann schließlich zwar nachgeben, dennoch wird sie mit ihrer Forderung, dass die Menschen ihre Grenzen erkennen müssen, Recht behalten, als die beiden russischen Bergsteiger trotz unsicheren Wetters zum Gipfelsturm aufbrechen.
Am konkreten Beispiel erzählt dieser ebenso bildmächtige wie ruhige und vielschichtige Dokumentarfilm so aufschlussreich vom Aufeinanderprall zweier Welten, aber auch grundlegend von menschlicher Hybris und ruft unaufdringlich, aber überzeugend zu Selbstbescheidung auf. Wie die versuchte Erstbesteigung für die beiden Russen allerdings ausging, erfährt man nur aus dem Presseheft. Im Film selbst scheinen sie sich in der übermächtigen Eiswelt, in der sie nur sehr langsam vorankommen, im Nebel zu verlieren.
Offen bleibt selbstverständlich auch, ob Dawa wirklich in Kathmandu Medizin studieren wird. Um die finanzielle Basis dafür zu schaffen wurde jedenfalls im Zuge der Produktion dieses Films eine Crowdfunding-Aktion gestartet.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos - z.B. im St. Galler Kinok und im Skino in Schaan.
Trailer zu "The Wall of Shadows"
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