The Negotiator - Relay
- Walter Gasperi
- vor 5 Stunden
- 4 Min. Lesezeit

Für einen Vermittler zwischen Firmen und Whistleblowern, die brisante Firmendokumente gegen entsprechende Bezahlung zurückgeben wollen, entwickelt sich sein Geschäft zu einem rasanten Katz-und-Mausspiel: Ein schnörkelloser und hochspannender, aber nicht allzu komplexer Thriller.
Ziemlich still geworden ist es um David Mackenzie nach seinem für vier Oscars nominierten, famosen Neo-Western "Hell or High Water" (2016). Der Historien- und Actionfilm "Outlaw King" (2018) wurde von Netflix übernommen und kam so nie in die Kinos. Danach drehte der Brite, der von "Young Adam" (2003) bis "Perfect Sense" (2011) immer wieder durch seine Vielseitigkeit überraschte, nur noch eine Folge für die Miniserie "Homemade" (2020) sowie zwei Folgen für die Miniserie "Mord im Auftrag Gottes" (2022).
Mit seinem ersten Kinofilm seit sieben Jahren erfindet sich Mackenzie jetzt aber nochmals neu und legt einen hochspannenden Thriller vor. Vom ersten Bild an zieht der 59-Jährige die Zuschauer:innen ins Geschehen hinein, wenn die Kamera von Giles Nuttgens in einer Plansequenz einem Mann über eine Straße in einen Diner folgt, wo er schließlich ein Dokument einem Mann in Anzug übergibt.
Als Mitarbeiter eines Pharmakonzerns hat der Mann Dokumente gestohlen, die die gesundheitsschädigende Wirkung von Medikamenten beweisen. Weil der Konzern ihn aber unter Druck setzt und bedroht, hat er sich schließlich entschieden die Dokumente nicht publik zu machen, sondern gegen entsprechende Bezahlung zurückzugeben. Organisiert wird der Deal von einem Vermittler (Riz Ahmed), der möglichst anonym bleiben will.
Der Vermittler vermeidet nicht nur jeden persönlichen Kontakt zu seinen Klient:innen, sondern wickelt auch Telefonate nur indirekt ab, indem er seine Fragen und Antworten wie Menschen mit Sprachbehinderung eintippt, damit diese dann von einem/r Telefonisten/in in einer Relay-Station dem/der Klienten/in vorgelesen werden. So muss er weder seine Stimme benutzen noch können seine Telefonate zurückverfolgt werden.
Gleichzeitig gewährleistet er mit einer Kopie der Dokumente in der Hinterhand seinen Klient:innen, dass sie nach Abwicklung des Geschäfts nicht durch den Konzern unter Druck gesetzt werden können, da in diesem Fall die Kopie der Presse übergeben würde.
Mit der ehemaligen Mitarbeiterin eines Biotechnologieunternehmens, das die gesundheitsschädigenden Nebenwirkungen eines insektenresistenten Weizens verheimlichen will, findet sich bald eine neue Kundin des Vermittlers. Auch sie hat Psychoterror bewogen die brisanten Dokumente zurückzugeben. Weil die Firma dafür aber nichts bezahlen will, sollen Handlanger den Vermittler ausfindig machen und den Deal verhindern. Rasch entwickelt sich so ein mitreißendes Katz-und-Mausspiel.
An klassische US-Thriller der 1970er Jahre erinnert "The Negotiator – Relay" in seinem in kaltes Licht und Blautöne getauchten schmutzigen und winterlich frostigen New York ebenso wie in der schnörkellosen Erzählweise. Jedes Privatleben der Figuren wird ausgespart, der Fokus liegt ganz auf der Interaktion zwischen Vermittler, Klientin und Handlangern des Konzerns. Ein trickreiches Spiel von Beobachten und Beobachtet werden sowie Täuschen und Getäuscht werden entwickelt sich so.
Dynamisch treibt Mackenzie die Handlung voran und wechselt mit perfektem Schnitt immer wieder zwischen den Protagonist:innen. Action ist hier nicht nötig, allein die ständige Gefahr für den Vermittler aufzufliegen sorgt für Spannung, die zudem durch den starken Soundtrack von Tony Doogan gesteigert wird. Eindrücklich zeigt sich dabei auch, wie schwierig und aufwändig es ist, in Zeiten von Handyortung und vielfachen Überwachungsmöglichkeiten seine Anonymität zu wahren und unentdeckt zu bleiben.
Großartig ist Riz Ahmed in der Rolle dieses Vermittlers, der nicht nur erst spät einen Namen bekommt, der zudem falsch sein könnte, sondern auch bis zur Mitte des Films kaum ein Wort spricht. Wirkt diese Figur am Beginn noch überlegen und vermittelt den Eindruck alles souverän in der Hand zu haben, so wird doch zunehmend seine Anspannung und seine Angst aufzufliegen spürbar.
In seiner Einsamkeit in der Großstadt, aber auch in seiner Professionalität und der Lakonie, mit der er seinen Job lange durchzieht, wirkt er wie ein Verwandter von Alain Delons Berufskiller Jeff Costello in Jean-Pierre Melvilles "Le samourai" ("Der eiskalte Engel", 1967). Gleichzeitig beginnt er aber auch zunehmend wie ein Schutzengel über seine Klientin zu wachen und sich um sie zu sorgen.
Besonders komplex ist "The Negotiator – Relay" freilich nicht, denn die Praxis des Rückkaufs von entwendeten brisanten Dokumenten und die Anprangerung von kriminellen Machenschaften von Konzernen dient in erster Linie im Stile eines MacGuffins à la Hitchcock als Triebfeder für die Handlung. Breiter ausgeführt oder vertieft wird hier nichts, doch zunehmend löst der anstehende Deal beim Vermittler Gewissensbisse aus, wird er damit doch zu einem wesentlichen Teil der Vertuschung.
Zur wachsenden Gefahr der Entdeckung kommt so sukzessive auch ein moralisches Dilemma und zudem ein persönliches, wenn der Vermittler Sympathien für seine Klientin entwickelt. Souverän steigert Mackenzie so die Spannung und erweist mit einer Szene in einem Konzertsaal auch Hitchcocks "The Man Who Knew Too Much" (1956) seine Reverenz.
So geradlinig freilich die Handlung über rund 90 Minuten entwickelt wird, so überraschend kommt dann eine Wendung, die es in sich hat. Damit setzt dann auch die Action ein und auch hier beweist Mackenzie, wie furios und mitreißend er Verfolgungsjagden inszenieren kann. Akzeptiert man diese erste Wendung sowie eine weitere Überraschung kurz vor Schluss, dann wird bis zur letzten Einstellung elektrisierende Spannung geboten.
The Negotiator – Relay
USA 2024
Regie: David Mackenzie
mit: Riz Ahmed, Lily James, Sam Worthington, Matthew Maher, Purva Bedi, Brian O'Neill, Willa Fitzgerald
Länge: 112 min.
Läuft jetzt in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems..
Trailer zu "The Negotiator - Relay"
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