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  • AutorenbildWalter Gasperi

The United States vs. Billie Holiday

Aktualisiert: 4. Mai 2021


Lee Daniels zeichnet nicht das Leben der 1959 im Alter von nur 44 Jahren verstorbenen Jazzsängerin nach, sondern fokussiert auf dem Kampf des FBI gegen die wegen ihres antirassistischen Protestsongs "Strange Fruit" unbequeme Afroamerikanerin. Getragen wird der Film von einer überragenden Andra Day in der Hauptrolle.


Ein Insert informiert am Beginn, dass der US-Senat 1937 über ein Gesetz zur Verhinderung von Lynchmorden an Afroamerikanern beriet, dieses aber nie verabschiedet wurde. Wenn am Ende ein Insert steht, dass 2020 der Senat wieder zum Emmett Till Antilynching Act tagte, schlägt Lee Daniels ("Precious", "Der Butler") nicht nur den Bogen zum Anfang, sondern auch von der Vergangenheit zur Gegenwart und rückt nochmals die antirassistische Stoßrichtung seines Films ins Zentrum.


Zentral im Kampf von Billie Holiday (Andra Day) gegen den Rassismus war der Song "Strange Fruit", den sie erstmals 1939 sang und der erschütternd die Lynchjustiz an Schwarzen thematisiert. Holiday selbst war der Song ein Anliegen, das Publikum wünschte ihn immer wieder, Veranstalter verboten ihr aber "Strange Fruit" zu singen, da dann – wie man in einer Szene sieht – die Polizei eingriff und das Konzert abbrach.


Daniels´ Verfilmung von Johann Haris Roman "Chasing the Scream: The First and Last Days of the War on Drugs" setzt 1957 mit einem Interview der Radiojournalistin Reginald Lord Devine mit Holiday ein. Von diesem Anker blendet der Film in die späten 1940er und die 1950er Jahre zurück. Nur nebenbei und in einer kurzen Rückblende erfährt man etwas über die schwere Kindheit der Sängerin, die als Zehnjährige vergewaltigt und von ihrer Mutter in die Prostitution gedrängt wurde.


Ganz im Dunkeln bleibt ihr Aufstieg, der Fokus liegt auf ihrer gesanglichen Brillanz und dem Kampf des FBI gegen Holiday. Weil der Behörde "Strange Fruit" ein Dorn im Auge war, ihn aber nicht verbieten konnte, versuchte FBI-Agent Harry J. Ainslinger (Garrett Hedlund) Holiday aufgrund ihrer Drogensucht fertig zu machen. Dazu wurde der schwarze Agent Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) ins Umfeld der Sängerin eingeschleust, der zunächst auch mitspielte, sich dann aber in die faszinierende Frau verliebte.


Im Historischen will Daniels unübersehbar den immer noch virulenten Rassismus und die Polizeigewalt in den USA anprangern. Sein Film ist als Teil der Black Lives Matter-Bewegung angelegt, doch über das Engagement geht das Erzählerische verloren. Da vermisst man doch die lenkende und strukturierende Hand des Regisseurs, denn ein konsequenter Handlungsaufbau lässt sich kaum feststellen.


Ziemlich abrupt folgen Konzertauftritte, Verhaftung und Gefängnis, dann Europatournee, die weitgehend mit Archivmaterial zusammengefasst wird, oder eine Tournee durch die USA aufeinander. Angedeutet wird auch eine lesbische Beziehung zur weißen Schauspielerin Tallulah Bankhead, aber weder werden hier abgesehen von Holiday vielschichtige Charaktere gezeichnet noch Szenen wirklich verdichtet. Nichts bringt hier auch das mehrfach kurz eingeschnittene Archivmaterial, das wohl einzig der Beglaubigung des Erzählten dienen soll, oder die Verwendung von Zeitlupe in wenigen Szenen.


Augenschmaus bietet "The United States vs. Billie Holiday" mit seiner perfekten Ausstattung aber zweifellos und beschwört damit auch intensiv die Stimmung in den Konzertsälen ebenso wie das repressive Klima der McCarthy-Ära, bleibt aber doch in der Abfolge einzelner Szenen stecken. Getragen werden muss dieser Film so von seiner Hauptdarstellerin.


Großartiges leistet hier die Soul- und R&B-Sängerin Andra Day, die für ihre Leistung zurecht mit einem Golden Globe ausgezeichnet und für einen Oscar nominiert wurde – gewonnen hat Frances McDormand für "Nomadland". Mit Leidenschaft spielt sie Billie Holiday, singt auch selbst und Daniels gibt ihr auch den Raum dazu, wenn Lieder wie "All of Me" oder "Ain´t Nobody’s Business" in voller Länge ausgespielt werden. Nur "Strange Fruit" wird abrupt abgebrochen, aber später in einem Club nachgeholt.


Day ist das Ereignis dieses sonst eher mäßigen Films. Sie macht das Engagement, aber auch die Zerbrechlichkeit dieser herausragenden Jazzsängerin, die von ihrem Freund Lester Young den Spitznamen Lady Day erhielt, bewegend erfahrbar und das Bild ihrer körperlichen Zerstörung, wenn sie am Ende blass und ausgemergelt im Bett liegt, wird man nicht so schnell vergessen. – In den Nachspann verbannt Daniels den Umstand, dass Polizisten um ihr Totenbett standen, weil sie die Sterbende wegen Drogenbesitzes verhaften wollten.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.


Trailer zu "The United States vs. Billie Holiday"


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