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The Ugly Stepsister

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 5 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit
"The Ugly Stepsister": "Aschenputtel"-Variation als feministischer Body-Horror
"The Ugly Stepsister": "Aschenputtel"-Variation als feministischer Body-Horror

Die Norwegerin Emilie Blichfeldt interpretiert die "Aschenputtel"-Geschichte in ihrem Langfilmdebüt als feministische Body-Horror-Komödie, in der sie mit gesellschaftlichen Zwängen und Schönheitswahn abrechnet: Ein blutiges, aber intelligentes und stilvoll inszeniertes Kinovergnügen für Erwachsene.


Schon der Vorspann gibt die Stoßrichtung vor: Die rosa Credits sind so überzogen, dass damit mädchenhafte Glücksvorstellungen nur ironisiert werden können. Übertreibung und Überzeichnung sind auch im Folgenden zentrale Stilmittel, mit denen die Norwegerin Emilie Blichfeldt, die sich schon in ihrem Kurzfilm "How Do You Like My Hair?" (2013) dem Wesen von Schönheit gewidmet hat, in ihrer im 18. Jahrhundert spielenden "Aschenputtel"-Variation arbeitet.


Steht im Grimm´schen Märchen das hübsche Aschenputtel im Zentrum, wird in "The Ugly Stepsister" dem Titel entsprechend aus der Perspektive der Stiefschwester Elvira (Lea Myren) erzählt. Ironisierung macht sich breit, wenn deren Träume von einer glücklichen Ehe mit einem Prinzen nicht nur immer in Rosa getaucht, sondern auch noch mit Weichzeichner verkitscht sind. Ihre körperliche Zurichtung, um dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen, wird dagegen als brutale und blutige Horror-Komödie inszeniert.


Bei aller Drastik, die durch Detailaufnahmen bei körperlichen Eingriffen noch gesteigert wird, wirkt das aber nie derb, sondern bereitet großes Vergnügen, weil Blichfeldt einerseits ihren Stil konsequent durchhält, andererseits durch die Übersteigerung ihren Film auch immer in der Balance zwischen Horror und blutigem schwarzem Humor hält.


Einen bissigen Gegenpol zu den Disney-Märchenfilmen, in denen sich Mädchenträume vom Märchenprinzen erfüllen, legt die Norwegerin mit ihrem Langfilmdebüt vor, in dem sie einerseits mit gesellschaftlichen Zwängen und Schönheitswahn abrechnet, andererseits auch die Gewalt und die Brutalität, die in den Grimm´schen Märchen schlummert, offenlegt.


Wie Medien Wunschvorstellungen prägen, ironisiert die 34-jährige Norwegerin, wenn für die junge Elvira nach der Lektüre eines Gedichtbands des Prinzen klar ist, dass sie diesen Mann unbedingt heiraten muss. Das Bild des Traummannes, als den er sich in seinen Gedichten inszeniert, wird aber bald in einer Szene, in der er sich mit seinen Freunden unbemerkt glaubt, zertrümmert. Denn dort zeigt er sich als misogyner Macho, der in Frauen nur Sexobjekte sieht, die er reihenweise flachlegt.


Erkennen muss Elvira aber rasch auch, dass sich der Traum ihrer verwitweten Mutter Rebecca (Ane Dahl Torp) durch Heirat mit einem Schlossbesitzer der Armut zu entkommen, nicht erfüllt, denn dieser stirbt zwar bald, hat aber mit der gleichen Absicht Rebecca geheiratet. Sympathieträger gibt es hier nicht, denn Geld und nicht Liebe erscheint auf beiden Seiten als Triebfeder für das Handeln.


Eine Hoffnung, der Not zu entkommen, ergibt sich mit einem Ball, zu dem der Prinz alle Jungfrauen des Landes einlädt, um eine Braut zu wählen. Während aber Elviras Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss) dabei beste Chancen hat, weil ihr die bezaubernde Schönheit ohne ihr Zutun in den Schoß gefallen ist, entspricht sie selbst diesem Ideal nicht unbedingt.


Alles wollen die Mutter und Elvira selbst aber unternehmen, um sich bei dieser Schönheitskonkurrenz durchzusetzen, während Agnes als Magd aufs Abstellgleis geschoben wird. Drastisch zeigt Blichfeldt dabei, wie Elvira für ihre Schönheit leiden muss, wenn mit mächtigen Zangen Hand an die Zahnspange gelegt, ihre Nase mittels Meisel korrigiert, künstliche Augenwimpern angenäht werden und Bandwurmeier dafür sorgen sollen, dass sie Gewicht verliert, obwohl diese gleichzeitig ihren Hunger steigern.


Der Schönheit gegenüber steht der Verfall des menschlichen Körpers, denn da aufgrund der Kosten für den Chirurgen kein Geld mehr für das Begräbnis des Stiefvaters bleibt, wird dessen im Keller liegender Leichnam von Würmern zerfressen. Doch auch das Bild vom reinen und unschuldigen Aschenputtel / Cinderella wird zertrümmert, wenn Agnes in der Scheune leidenschaftlichen Sex mit dem Stallburschen hat.


Begeisternd ist aber auch die visuelle Gestaltung, bei der sich Blichfeldt nach eigener Aussage von den osteuropäischen Märchenfilmen der 1960er und 1970er Jahren inspirieren ließ. Intensiv evozieren Kameramann Marcel Zyskind mit stimmungsvollen Wald- und Schlossszenen - gedreht wurde im polnischen Schloss Gluchow und in der Ruine eines Zisterzienserklosters in der Nähe des polnischen Dorfes Lubiaz – und die prächtigen Kostüme von Manon Rasmussen eine klassische Märchenstimmung, die in starkem Kontrast zum harten Horror-Realismus der Handlung steht.


Dazu kommt ein aufregender Soundtrack, der gewissermaßen den Kontrast von Märchenwelt und Realität auch auf die akustische Ebene überträgt, wenn klassische Stücke von Beethoven und Mozart und Harfenmusik modernen Synthesizer-Klängen gegenüberstehen.


Eine echte Genreperle ist Blichfeldt so mit ihrem Debüt gelungen und beweist sich als große Stilistin, die souverän Unterhaltung mit gesellschaftskritischem Biss verbinden kann. Unübersehbar, aber sicher rein zufällig sind dabei die Parallelen zu Coralie Fargeats Erfolgsfilm "The Substance", der auch mittels heftigen Body-Horror-Szenen mit Schönheitswahn und gesellschaftlichen Zwängen abrechnet, denn "The Ugly Stepsister" wurde schon 2020 – also vier Jahre vor der Premiere von "The Substance" – gedreht.


The Ugly Stepsister

Norwegen / Polen / Schweden / Dänemark 2025

Regie: Emilie Blichfeldt

mit: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp, Flo Fagerli, Isac Calmroth

Länge: 109 min.

 


Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Cineplexx Hohenems.


Trailer zu "The Ugly Stepsister"


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