Coralie Fargeat rechnet in ihrer blutigen Horror-Satire mit Jugendwahn und Sexismus in der Film- und Fernsehbranche ab: Sehr stylisch und über weite Strecken dynamisch inszeniert, fehlen dem Film – trotz seines Titels – doch Substanz und Zwischentöne.
Mit einer Injektion eines Eigelbs, das sich daraufhin verdoppelt, gibt Coralie Fargeat in ihrem nach dem Vergewaltigungs-Rachethriller "Revenge" (2017) zweiten Spielfilm das zentrale Thema vor: Ein unsichtbar bleibendes Unternehmen verspricht nämlich, dass durch eine bestimmte Substanz die bessere Version von einem selbst erzeugt werden kann.
Im Mittelpunkt des Films steht die alternde Schauspielerin Elisabeth Sparkle (Demi Moore). Im Schnellverfahren werden mit einem Blick aus der Vogelperspektive auf die Einlassung eines Sterns am Walk of Fame in Hollywood und die Feier des Stars bis zum Verblassen des Sterns, der verschmutzt wird, Risse bekommt und von niemandem mehr beachtet wird, ihr Aufstieg und das Verblassen des Ruhms gerafft. Nun tanzt die 50-Jährige, die einst sogar einen Oscar gewann, für eine Fitnesssendung im Frühstücksfernsehen vor. Doch der TV-Produzent (Dennis Quaid) möchte sie loswerden, bringt sie doch keine Quoten mehr.
Zweifellos ein Coup ist die Besetzung dieses Ex-Stars mit Demi Moore, war sie doch in den 1990er Jahren selbst eine der gefragtesten und best bezahlten Schauspielerinnen in Hollywood, deren Ruhm aber rasch verblasste, obwohl sie mit Schönheitsoperationen ein jugendliches Aussehen zu bewahren versuchte. Ihr gegenüber steht als ihr "besseres Ich" Sue Margaret Qualley, die zu den aufsteigenden jungen Stars in Hollywood zählt.
Als Elisabeth nach einem schweren Autounfall im Krankenhaus von einem Pfleger den Hinweis auf die ominöse Substanz bekommt, nimmt sie nach längerem Zögern Kontakt mit dem Unternehmen auf. In einem Lagerraum findet sie in einem Schließfach bald das ominöse Präparat.
Tatsächlich wird durch dessen Einnahme aus Elisabeths Rücken die junge und wunderschöne Sue (Margaret Qualley) "geboren", doch sind die beiden von einander abhängig. Nicht zwei Personen gibt es im Grunde, sondern beide gehören zusammen und jede lebt jeweils eine Woche. Dazwischen liegt die jeweils andere bewusstlos im Badezimmer und während Elisabeth eine spezielle Nahrung zugeführt werden muss, muss Sue sich jede Woche Elisabeths Körpersäfte spritzen.
Ein Casting-Duo für einen Film ist ebenso begeistert von Sue wie der TV-Produzent, der sie auf Anhieb für die Fitness-Show "Pump It Up" engagiert und ihr mit Erfolg der Sendung auch bald eine attraktivere Aufgabe anbietet. – Abzusehen ist freilich, dass das Körper-Experiment langsam aus dem Ruder läuft, denn Sue verspürt immer weniger Verlangen in Elisabeths Körper zurückzukehren, verlängert ihre Präsenz, was aber wiederum den Alterungsprozess Elisabeths beschleunigt.
Wie Fargeat vor allem in der ersten Hälfte über weite Strecken ohne Dialog und rein in Bildern erzählt, ist beeindruckend, und toll anzusehen ist "The Substance" zweifellos. Einprägsame Locations werden mit einem ganz in Rot getauchten schier endlosen Gang im TV-Studio, Elisabeths großer Wohnung, die hoch über L.A. liegt und über eine Fensterfront einen prächtigen Ausblick über die Stadt bietet, oder dem Badezimmer und dem Schließfachraum, die beide in gleißendes Weiß getaucht sind, präsentiert. Großartig versteht es Fargeat mit intensiven Farben wie Elisabeths gelbem Mantel, dem blauen samtenen Bett, auf das sich Sue im blauen Samtkleid legt, oder einem pinken Slip und blauen Top farbliche Akzente zu setzen.
Mit schnellen Kamerabewegungen, verwackelten Bildern bei Schwindelanfällen der Protagonistinnen und ungewöhnlichen Perspektiven und schnellen Schnitten verleiht sie dieser aktualisierten Version von Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" ebenso Dynamik und Drive wie mit dem wummernden Soundtrack des britischen Komponisten Raffertie.
Bissig nimmt sie auch die männlich dominierte TV- und Filmbranche aufs Korn, wenn die beiden Männer bei der Casting-Show sexistische Witze über die vorsprechenden Frauen machen und der TV-Produzent Elisabeth entsorgen und durch eine junge Schauspielerin ersetzen will. Dass dieser Macher auch noch Harvey heißt ist unübersehbar eine Anspielung auf Harvey Weinstein.
Feine Klinge führt Fargeat dabei freilich keine, sondern mag es deftig und plakativ. Zur Karikatur grell überzeichnet wird der TV-Produzent so nicht nur, wenn in extremen Close-ups seiner Mundpartie gezeigt wird, wie er in einem Restaurant Meeresfrüchte in sich hineinstopft. Expressiv sind Bild- und Tonsprache, Zwischentöne haben hier keinen Platz.
Auch mit der Fitness-Show soll der Sexismus in der Branche angeprangert werden. Gleichzeitig fokussiert die Kamera von Benjamin Kračun dabei so ausgiebig auf den langen Beinen, auf Po und Hüftschwüngen von Sue und der anderen Tänzerinnen, dass der Film sich selbst den Vorwurf des Voyeurismus und Sexismus gefallen lassen muss, es sei denn diese Szenen sind als Provokation des danach gierenden Kinopublikums gedacht.
Einiges mutet die 48-jährige Regisseurin dem Publikum aber auch mit den Body-Horror-Szenen zu, die angesichts der Thematik nicht fehlen dürfen. Zunehmend blutiger wird "The Substance" dabei, der schließlich kein Ende finden will. Anspielungen auf David Lynchs "The Elephant Man" werden ebenso einbaut wie auf die mythologische Medusa, ehe diese schrille Satire mit der Rückkehr zum Walk of Fame doch wieder den Kreis zum Anfang schließt.
Mehr als der Body-Horror bleibt schließlich aber wohl eine Szene haften, in der sich Elisabeth für ein Abendessen mit einem ehemaligen Mitschüler herausputzt. Bei jedem Blick auf das Gesicht oder ein Plakat der jungen Sue korrigiert sie unzufrieden ihr Make-up, bis sie verzweifelt aufgibt: Kein Schnickschnack und kein Augenfutter ist hier nötig, allein das Spiel von Demi Moore vermittelt hier den Selbsthass und den Drang zur Selbstoptimierung, den der Jugend- und Schönheitswahn der heutigen Gesellschaft, bei vielen Menschen auslöst.
The Substance USA / Großbritannien / Frankreich 2024 Regie: Coralie Fargeat mit: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid Länge: 140 min.
Läuft derzeit in den Kinos.
Trailer zu "The Substance"
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