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AutorenbildWalter Gasperi

The Burdened

Weil ein viertes Kind für ein jemenitisches Paar finanziell nicht tragbar ist, strebt es eine Abtreibung an. Doch dies ist im islamischen Land schwierig: Ruhig, aber konzentriert erzählt Amr Gamal vom Hindernislauf des Paares und zeichnet beiläufig auch ein eindrückliches Bild der schwierigen sozialen Verhältnisse in der vom Bürgerkrieg gezeichneten südjemenitischen Hafenstadt Aden.


Auf den Oktober 2019 datiert der in Polen geborene und im Jemen aufgewachsene Amr Gamal das von Erlebnissen aus seinem Freundeskreis inspirierte Drama mit einem Insert. Mit einer Totalen vom abendlichen Markt von Aden, in dem Isra´a (Abeer Mohammed) und Ahmed (Khaled Hamdan) Lebensmittel fürs Abendessen kaufen, verankert der 41-jährige Regisseur die Handlung geographisch.


Immer wieder bietet "The Burdened", der als erster Film aus dem Jemen 2023 zur Berlinale eingeladen wurde, mit den Fahrten Ahmeds als Taxilenker eines Kleinbusses durch die Küstenstadt beiläufig Einblick nicht nur in die multikulturelle Architektur der Hafenstadt, in der neben historischen islamischen auch moderne Bauten stehen, sondern auch in die Zerstörungen der Stadt durch den seit 2013 tobenden Bürgerkrieg zwischen dem Norden und Süden.


Auch die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Wie andere staatliche Bereiche hat auch der beim staatlichen Fernsehsender angestellte Ahmed schon seit zwei Monaten kein Gehalt mehr erhalten. Auf den Straßen wird von einer kleinen Gruppe zwar dagegen demonstriert, doch die Resonanz ist gering. Zum Alltag gehören dafür Militärkontrollen, Stromausfälle und Wasserrationierung.


Problemlos könnte Ahmed einen gut bezahlten Job bei einem privaten Sender finden, doch möchte er sich nicht in diese Abhängigkeit begeben. Wenig hält er auch von seinem Schwager, der den finanziellen Aufstieg über einen Job beim Militär geschafft hat.


Ahmed will nicht klein beigeben, will seine Würde bewahren und trägt die im Titel angesprochene Last ebenso unnachgiebig wie stur, doch ein viertes Kind verkraftet die Familie finanziell nicht. Kosten wie die für das Schulgeld steigen rapide aufgrund der großen Inflation und die bisherige Mietwohnung muss zugunsten einer billigeren, aber damit auch deutlich schlechteren aufgegeben werden.


Schwierig ist aber im islamischen Jemen eine Abtreibung. Gänzlich verboten ist das zwar nicht, gibt es doch eine islamische Richtung, die erklärt, dass ein Embryo bis zum 120. Tag keine Seele habe und damit kein wirklicher Mensch sei.


Die Gynäkologin, die Isra´a aufsucht, will davon aber nichts hören, betont, dass ein Kind ein Geschenk Gottes sei, und auch ihre Schwester oder Bekannte, denen sie von ihrer Schwangerschaft erzählt, sprechen von einer Schwangerschaft als Gottes Wille und dem Segen, den ein Kind darstelle. So ruht die ganze Hoffnung des Paares auf einer befreundeten Ärztin (Samah Alamrani), deren Niqab aber schon auf eine ausgesprochen konservative Haltung schließen lässt.


Man spürt Gamals Herkunft vom Theater, wenn er jede Szene fast in einer einzigen, distanzierten und ruhigen Einstellung filmt. Auf Musik verzichtet er ebenso wie auf eine Schuss-Gegenschussstrategie und beschränkt sich darauf, nüchtern, aber konzentriert diesen Hindernislauf Isra´as und Ahmeds nachzuzeichnen.


Gerade aus dieser ruhigen, aber schnörkellosen und geradlinigen Erzählweise, kombiniert mit dem genauen Blick für Situationen und den quasidokumentarischen Einblicken in ein im Westen weitgehend unbekanntes Land, entwickelt "The Burdened" aber große Dichte und Spannung. Weil hier nichts vom Wesentlichen ablenkt, wird sukzessive auch intensiver vermittelt, wie sehr die angespannte Situation die Familie und vor allem das Paar belastet und einen Keil zwischen Isra´a und Ahmed treibt.


Sie lieben zwar ihre Kinder, reagieren aber doch vermehrt gereizt. Vor allem Ahmed wird mit der Situation als Ehemann und Vater, der seine Familie versorgen sollte, dazu aber nicht in der Lage ist, nicht fertig. Nicht nur verbal aggressiv reagiert er gegenüber seiner Frau, sondern wird auch handgreiflich und offen bleibt, wie es mit diesem Paar weitergehen wird, wenn in der Schlusseinstellung die Familie im Kleinbus sitzt, die Kinder sich auf der Rückbank angeregt unterhalten, während Ahmed und Isra´a auf den Vordersitzen sich weder anschauen noch miteinander sprechen.


In diesem Schlussbild kann man auch eine Ungewissheit des Regisseurs, der seinen Film der fortschrittlichen Künstlerin und Cartoonistin und ersten jemenitischen TV-Direktorin Samira Abdo Ali (1947 – 2021) gewidmet hat, im Hinblick auf die Zukunft seines Heimatlandes sehen.

 

 

The Burdened Jemen / Sudan / Saudi-Arabien 2023 Regie: Amr Gamal mit: Khaled Hamdan, Abeer Mohammed, Samah Alamrani, Awsam Abdulrahman, Shahd Algonfedy Länge: 91 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "The Burdened"



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