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AutorenbildWalter Gasperi

The Apple Day


Mit großen Hoffnungen ist eine Familie vom Land in die Metropole Teheran gezogen, doch die Lebensbedingungen erweisen sich hier bald als prekär: Mahmoud Ghaffari gelang ein unaufgeregtes Drama, das nicht nur mit dem genauen Blick auf Menschen und Situationen, sondern auch mit einer Vater-Sohn-Geschichte an Vittorio de Sicas neorealistischen Klassiker "Ladri di biciclette" anknüpft.


In helles Licht ist die erste Szene getaucht, in der Vater Morteza und sein Sohn Saeed auf dem Land auf einer Plantage Äpfel pflücken. Bedrückender wird es schon, wenn sie mit dem Pick-up durch die schmalen Seitenstraßen von Teheran fahren und mit dem Megaphon ihre Ernte anpreisen. Gering sind die Einkünfte und Mutter Mahboubeh muss mit dem Waschen und Färben alter Kleider etwas dazuverdienen.


Dennoch lebt die Familie am Existenzminimum in einer kleinen Wohnung in einem Vorort von Teheran. Groß ist der Kontrast nicht nur zur sterilen weißen Hochhaussiedlung am gegenüberliegenden Hügel, sondern auch zu ihrem Heimatdorf. Immer wieder schneidet Mahmoud Ghaffari Bilder dieses verlassenen Dorfs im Wechsel der Jahreszeiten von grünen Wiesen bis zur verschneiten Landschaft dazwischen. – Kommentarlos werden so Gegensätze einander gegenübergestellt, auf explizite Wertung verzichtet Ghaffari.


Morteza spielt schon mit dem Gedanken einer Rückkehr aufs Land, doch seine Frau will nichts davon wissen. Sie hofft in der Stadt durch Bildung wenigstens ihren Kindern ein besseres Leben ermöglichen zu können.


In der Schulklasse von Saeeds kleinerem Bruder Mahdi beauftragt die Lehrerin jede Schüler*in am Tag, an dem ein bestimmter Buchstabe gelernt wird, etwas dazu Passendes aus dem Beruf des Vaters mitzubringen. Der Sohn des Milchverkäufers soll so bei der Besprechung von "M" Milch mitbringen und Mahdi bei der Besprechung von "A" für jeden Schüler einen Apfel.


Im Grunde sollte das kein Problem sein, doch dann wird der Pick-up des Vaters gestohlen. Mehr noch als die Fokussierung auf kleine Leute erinnert dieser Diebstahl an Vittorio de Sicas "Ladri di bicicletta". Wie der Plakatierer im neorealistischen Klassiker ohne Fahrrad kann auch der Obstverkäufer ohne Pick-up seinen Beruf nicht weiter ausführen. Hier wie dort beginnt eine verzweifelte, aber erfolglose Suche. Mit dynamischer Handkamera überträgt Ghaffari dabei in dem sonst ruhig erzählten Film die Erregung und Panik Mortezas.


Gleichzeitig bietet Ghaffari dabei aber auch Einblick in die allgegenwärtige Korruption im Iran, wenn dem Polizisten nebenbei noch ein Geldschein zugesteckt wird, um doch etwas eifriger zu recherchieren. Aber auch in der Schule wird dieses System sichtbar, wenn ein Vater der Lehrerin ein Geschenk überreicht und sie bittet, seinen Sohn in die erste Reihe zu setzen.


Unaufgeregt, aber eindrücklich zeigt Ghaffari, wie die Situation für die Familie durch den Verlust des Pick-ups prekärer wird. Mit Gelegenheitsjobs wie als Plakatierer oder Aushilfe in einer Eisdiele versucht Morteza etwas dazu zu verdienen. Das Megaphon wird verkauft und auch Saeed versucht für seinen Vater, der an Rückenschmerzen leidet, einen Job zu finden.


Zunehmend rückt damit Saeed ins Zentrum, der auch versucht die 30 Äpfel für seinen kleinen Bruder zu organisieren. Sein Weg führt von der Bitte um Apfelspenden über einen Nebenjob als Laufbursche beim Gemischtwarenhändler bis zum Diebstahl von Opfergaben auf einem Friedhof.


So schwierig aber die Lage der Familie ist, so verfällt Ghaffari dennoch nicht in Hoffnungslosigkeit, sondern beschwört vielmehr die Kraft des familiären Zusammenhalts. Da wird bald in der kleinen Wohnung ausgelassen getanzt und obwohl das Geld knapp ist, gönnt sich Morteza mit Frau und Kindern dennoch immer wieder mal einen Besuch in einem einfachen Restaurant.


Keine große Geschichte wird hier erzählt, aber durch den genauen Blick auf die Charaktere und das Milieu, in denen Ghaffaris Erfahrung im Dokumentarfilm spürbar wird, und die hervorragend agierenden Laiendarsteller*innen entwickelt sich ein dichtes und präzises Drama, das über die konkrete Geschichte hinaus ein eindrückliches Bild vom Leben im Iran, von den Folgen der Migration und einer Gesellschaft in Schieflage vermittelt.


The Apple Day Iran 2022 Regie: Mahmoud Ghaffari mit: Aria Mohammadzadeh, Arian Rastkar, Zhila Shahi, Khodadad Bakhshizadeh, Mahdi Pourmoosa Länge: 80 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "The Apple Day"


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