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  • AutorenbildWalter Gasperi

Tausend Zeilen


Michael "Bully" Herbig zeichnet sehr frei den Skandal um den Journalisten Claas Relotius nach, der für seine Reportagen für Der Spiegel gefeiert wurde, bis sie sich 2018 als Erfindung entpuppten: Flott erzählte, aber zahme Mediensatire, die in Handlungsführung und Figurenzeichnung sehr eindimensional und holzschnittartig bleibt.


Für einen Medienskandal sorgte der Spiegel-Reporter Juan Moreno 2018, als er durch Recherchen nachwies, dass die Reportagen seines Kollegen Claas Relotius zumindest teilweise reine Erfindungen waren.


Dabei hatte Relotius nach Abschluss eines Masterstudiums 2011 über Jahre als freier Journalist für so renommierte Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Financial Times Deutschland, Die Welt, das SZ-Magazin, Zeit Online und NZZ am Sonntag geschrieben und war ab 2017 festangestellter Redakteur bei Der Spiegel. Er genoss hohes Ansehen, das amerikanische Forbes-Magazin zählte ihn zu den herausragenden unter 30-jährigen Autoren in Europa und seine Reportagen wurden vielfach preisgekrönt. Umso unglaublicher ist es, dass es so lange dauerte, bis der Betrug aufflog.


Dass sich der Film, der nach Juan Morenos Sachbuch "Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus" (2019) entstand, Freiheiten im Umgang mit den Fakten erlaubt, macht schon ein Insert klar, in dem die Fiktionalität der Geschichte betont wird. Gleichzeitig wird im nächsten Satz aber auch wieder die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sich die Ereignisse doch genau so abspielten.


Wenn aus dem Aufdecker Moreno im Film nur leicht abgewandelt Romero (Elyas M´Barek) wird, dann spiegelt sich darin schon die recht plumpe Machart von Michael "Bully" Herbigs Satire, die näher bei seinem Hit "Der Schuh des Manitu" als bei seinem DDR-Fluchtdrama "Ballon" liegt. Denn während er in letzterem durch genaue und atmosphärisch dichte Schilderung der Stimmung in der DDR Spannung entwickelte, lässt er sich hier nie Zeit, sich auf das Thema differenzierter einzulassen, sondern setzt vor allem auf Tempo und Überzeichnung.


Um die Handlung zu raffen, führt er den Journalisten Juan Romero als Erzähler ein. Immer wieder kommentiert aber nicht nur dieser direkt in die Kamera das Geschehen, sondern auch sein Kontrahent, der im Film Lars Bogenius (Jonas Nay) heißt. Mehrfach wird dabei auch das zunächst Gezeigte wieder zurückgenommen und entpuppt sich als reine Wunschvorstellung. - Man sieht hier deutlich das Vorbild von Adam McKays "The Big Short" (2015) oder "Vice - Der zweite Mann" (2018), deren Verve und Biss erreicht "1000 Zeilen" aber nie.


Wie in der Realität führt eine Reportage über die us-amerikanische-mexikanische Grenze, bei der Romero und Bogenius zusammenarbeiten sollen, zur Aufdeckung des Betrugs von Bogenius. Deftig werden dabei in einer Parallelmontage nicht nur die gegensätzlichen Persönlichkeiten, sondern auch die unterschiedlichen Arbeitsweisen gegenübergestellt: Dem gestylten blonden Bogenius steht so der eher ungepflegte Romero gegenüber und während letzterer mühsam in Mexiko recherchiert und zahlreiche Unannehmlichkeiten auf sich nimmt, sitzt Bogenius unter kalifornischer Sonne mit einem Cocktail an einem Pool und tippt eine erfundene Story in den Laptop.


Doch als Romero von der Ressortleitung der Zeitschrift Die Chronik – eine unübersehbare Anspielung auf Der Spiegel - zurückversetzt wird, während Bogenius als Star des Journalistenhimmels gefeiert wird, beginnt der Underdog genauer hinzuschauen. Bald entdeckt er Widersprüche in der Reportage seines Kollegen. Er beginnt zu recherchieren und deckt sukzessive den ganzen Betrug auf.


Plastische Charaktere entwickelt Herbig dabei kaum, sondern setzt vielmehr auf teilweise bis zur Karikatur überzeichnete Typen. Vor allem die Chefetage des Spiegels, die ihrem neuen Star ganz verfallen ist und Romero lange nicht glauben will, bekommt hier ihr Fett ab.


Ausgespart bleibt aber die grundsätzliche Frage, was in einer Medienwelt falsch läuft, in der ein Betrüger so lange unentdeckt bleibt. Statt die Branche im Allgemeinen unter die Lupe zu nehmen, personalisiert Herbig die Thematik völlig.


Zwischentöne sucht man dabei leider vergeblich und auch mit akribischen und langwierigen Recherchen zur Wahrheitsfindung und Überführung des Betrügers hält sich Herbig nicht lange auf. Schnell muss hier alles gegen und recht plump wird auch einer glanzvollen Preisverleihung an Bogenius in Parallelmontage die Aufdeckung seines Betrugs gegenübergestellt.


Auch beschränkt sich Herbig nicht auf die journalistische Arbeit, sondern auch ein familiärer Background Romeros mit Frau und vier kleinen Töchtern darf nicht fehlen. Da muss sich der Papa dann auch mal um die Kinder kümmern, wird davon aber immer wieder von seiner Arbeit abgehalten, sodass die Ehe bald Risse bekommt.


Differenzierter ausgearbeitet wird aber leider nichts, sondern alles wird plakativ hingeknallt. Mehr an Boulevardjournalismus als an ein Qualitätsmedium erinnert so "1000 Zeilen". Wenig subtil entwickelt sich so die Satire auf eine Medienwelt, in der man sich nach außen die Wahrheit auf die Fahnen geschrieben hat, aber einem Betrüger auf den Leim geht, zum Lobgesang auf engagierten Journalismus.


Denn mag auch Bogenius ein Betrüger sein, mag seine Zeitung ihn feiern, da er mit seinen Reportagen Auflage und Renommee in die Höhe schnellen lässt, so ist die Identifikationsfigur doch der engagierte Journalist Romero, der wie alle guten Film-Journalist*innen von Carl Bernstein und Bob Woodward in Alan J. Pakulas Watergate-Film "All the President´s Men" bis zum Team von The Boston Globe in Tom McCarthys "Spotlight" unermüdlich für die Aufdeckung der Wahrheit kämpft.


Am rechten Fleck hat "Tausend Zeilen" zweifellos sein Herz, aber er ist eben auch so grobschlächtig inszeniert, dass er mit seinem Tempo zwar 90 Minuten leidlich unterhält, aber auch ohne Nachwirkung bleibt. Verschenkt wurde so hier letztlich ein starker Stoff, aus dem man wesentlich mehr hätte machen können und müssen.



Tausend Zeilen Deutschland 2022 Regie: Michael "Bully" Herbig mit: Elyas M'Barek, Jonas Nay, Marie Burchard, Michael Ostrowski, Michael Maertens, Sara Fazilat Länge: 93 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Cineplexx Hohenems


Trailer zu "1000 Zeilen"






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