Geisterbeschwörung und Geistererscheinung sind im Kino im Grunde ein alter Hut, doch wenn die Geschichte kompakt und schnittig erzählt wird und zudem mit einem nicht verarbeiteten Verlust verknüpft wird, kann daraus immer noch ein fesselnder und zeitgemäßer Horrorfilm werden.
Die Zwillingsbrüder Danny Philippou und Michael Philippou erlangten mit ihrem youtube-Kanal RackaRacka Bekanntheit. Mehr als sechs Millionen Abonnenten haben ihre mit einfachen Mitteln gedrehten, drei- bis fünfminütigen Parodien auf Action- und Horrorfilme, die teilweise so gewalttätig und vulgär sind, dass sie in mehreren Ländern verboten wurden. Nun drehten die beiden Australier mit "Talk to Me" ihren ersten Spielfilm und landeten damit beim Sundance Film Festival auf Anhieb einen großen Erfolg.
Fulminant ist die Pre-Title-Szene, die schon mitten in den Film hineinzieht: In einer spektakulären Plansequenz folgt die Kamera einem jungen Mann von einem Parkplatz zu einer Party, vorbei an einem Pool und durch den Garten ins Haus, wo er seinen Bruder sucht, der sich in einem Zimmer eingesperrt hat. Mit drastischer Gewalt endet die ungeschnittene Einstellung schließlich abrupt und nach dem Titel-Insert setzt die Handlung neu ein.
Im Zentrum steht die 17-jährige Mia (Sophie Wilde), die nach dem Tod ihrer Mutter bei einer befreundeten Familie lebt, denn mit ihrem Vater scheint sie nicht auszukommen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Jade (Alexandra Jensen) nimmt sie an spiritistischen Sitzungen teil, bei denen mittels einer einbalsamierten Hand, die einst einem Medium gehört haben soll, die Geister der Toten beschworen werden. Maximal 90 Sekunden darf man aber in die Geisterwelt blicken, sonst besteht die Gefahr, dass die Toten vom Medium ganz Besitz ergreifen und sich im Diesseits einnisten.
Nur beim Schauen bleibt es dabei freilich nicht, sondern selbstverständlich werden diese Kontakte mit den Geistern mit dem Handy gefilmt und auf Social Media veröffentlich. Dieser Handy-Wahn fand sich schon in der Eröffnungsszene, auf dezidierte Kritik daran verzichten die Philippous aber und beschränken sich darauf zu zeigen.
Wichtiger sind dem Regie-Duo erfreulicherweise ihre differenziert gezeichneten Protagonist:innen. Als nämlich auch Jades 13-jähriger Bruder Riley (Joe Bird), der unbedingt zu den "Großen" gehören möchte, an so einer Séance teilnimmt und Mia über ihn Kontakt mit dem Geist ihrer verstorbenen Mutter aufzunehmen glaubt, laufen die Dinge aber aus dem Ruder.
Nicht neu ist die Thematik der Geisterbeschwörung und deren Gefahren. Komödiantisch spielte diese schon David Lean Mitte der 1940er Jahre in "Blithe Spirit - Geisterkomödie" durch, ein beinharter Schocker gelang William Friedkin 1973 mit "Der Exorzist", in dem ein Dämon Besitz von einem Mädchen ergreift, und auf riskante Experimente mit Nahtoderfahrungen ließen sich Teenager 1990 in Joel Schumachers "Flatliners" ein.
Um den Kick dieser Grenzüberschreitung geht es auch den Jugendlichen in "Talk to Me". Ein Kontakt mit dem Geist von Toten ist doch weit aufregender als eine gängige Party. Dem alten Stoff hauchen die Philippous dabei mit kompakter Inszenierung und unverbrauchten Schauspieler:innen neues Leben ein. Schnörkellos ist die Erzählweise des schlanke 95 Minuten langen Films, auf wenige (Innen)räume und Figuren beschränkt sich die Handlung und der Fokus liegt ganz auf der Geisterbeschwörung und ihren Folgen.
Stärkster Trumpf des Films ist aber zweifellos die Verknüpfung der Geisterbeschwörung mit dem Alltag der Protagonistin. Ganz entscheidend spielt nämlich Mias nicht verarbeiteter Verlust der Mutter herein. Schwer belastet sie die Ungewissheit, ob deren Tod ein Unfall oder doch Selbstmord war. Unbedingt mehr möchte sie deshalb von ihr erfahren, als sie deren Geist sieht.
Offen lässt der Film freilich, ob Mia hier wirklich Kontakt mit ihrer Mutter hat oder ob sie sich in eine Wunsch- und Wahnvorstellung hineinsteigert. Gekonnt lassen die Philippous dabei auch für die Zuschauer:innen die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verschwimmen, wenn die Perspektive Mias immer wieder durch einen objektiven Blick gebrochen wird.
Zunehmend klar wird so, dass wohl weniger Geister von Toten als vielmehr der Glaube daran von ihr Besitz ergreift und sie sich in einen Wahn hineinsteigert, in dem sie scheinbar von den Geistern manipuliert wird. In Wahrheit kommt dieser Wahnsinn eben nicht von außen, sondern lauert vielmehr in der eigenen Psyche und dem nicht verarbeiteten Trauma.
Große Splatter-Effekte werden dabei nur reduziert, aber wirkungsvoll und durchaus drastisch eingesetzt. In erster Linie setzen die Philippous aber auf ihre Charaktere und deren Beziehungen zueinander sowie auf stringentes Storytelling. Eifersüchteleien, weil Jade nun mit Mias Ex-Freund zusammen ist, spielen hier ebenso herein wie Mutter-Tochter-Spannungen und vor allem ein ungeklärter Konflikt zwischen Mia und ihrem Vater, von dem sie sich belogen fühlt. – Diese Erdung des Übernatürlichen in einem realistischen Alltag macht "Talk to Me" verbunden mit seiner kompromisslos ernsten Erzählweise zu einem starken Horrorthriller, der durchgängig packt und auch über das Filmende hinaus beunruhigen kann.
Talk to Me Australien 2023 Regie: Danny Philippou, Michael Philippou mit: Sophie Wilde, Joe Bird, Alexandra Jensen, Otis Dhanji, Miranda Otto Länge: 95 min.
Läuft derzeit in den österreichischen, deutschen und Schweizer Kinos
Trailer zu "Talk to Me"
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