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  • AutorenbildWalter Gasperi

Streaming: Shiva Baby


Für eine junge bisexuelle Jüdin, die noch nicht so richtig weiß, was sie in ihrem Leben machen will, wird das Zusammentreffen mit Verwandten bei einer Shiv´a, einer Trauerfeier, zur psychischen Belastungsprobe. - Mit ihrem Debüt gelang Emma Seligman, eine dichte, vor Dialogwitz und Situationskomik sprühende Komödie, in der mit einer großartigen Rachel Sennott in der Hauptrolle bissig Generationenkonflikte und der Druck durch Erwartungshaltungen aufgedeckt werden. – Das brillante Debüt kann bei mubi.com gestreamt werden.


Unscharf sieht man Danielle (Rachel Sennott) in einer schicken Wohnung beim Sex. Keine Liebesbeziehung ist das, sondern die junge Frau lässt sich dafür bezahlen und erklärt ihrem Kunden, dass sie damit ihr Jus-Studium finanzieren will. Doch schon die nächste Szene macht deutlich, dass sie das gar nicht nötig hätte, denn ihre Eltern sind durchaus wohlhabend.


Dominant ist hier die Mutter, die freilich nicht nur am Ehemann ständig herumnörgelt und ihn herumkommandiert, sondern auch stets um das Wohl der erwachsenen Tochter besorgt ist.

Zur Beerdigung einer Bekannten hat es Danielle nicht mehr geschafft, doch zur Trauerfeier, der Shiv´a, muss sie wohl nun nolens volens mit ihren Eltern mit, auch wenn sie gar nicht weiß, wer eigentlich gestorben ist.


Beliebt sind solche Familienfeiern von Robert Altmans "Eine Hochzeit" bis zu Thomas Vinterbergs "Das Fest", um Brüche in den Beziehungen aufzudecken. Abgesehen von der ersten Szene beschränkt sich Seligman so auf das Haus, in der die Trauerfeier stattfindet, und erzählt fast in Echtzeit.


Von der Toten ist dabei kaum die Rede, der Fokus liegt vielmehr auf Danielle. Zum Ärger über die überbesorgten Eltern kommen bald Fragen von alten Verwandten, was sie denn mache und wie es mit einem Freund aussehe. Ganz im Gegensatz zur einleitenden Szene erzählt Danielle da von einem Studium in Gender und Wirtschaft und einem Nebenjob als Babysitterin. Fast spürbar wird das Belastende dieser sich wiederholenden Fragen und Danielles Unbehagen durch eine dissonante Musik und Großaufnahmen von Rachel Sennotts Gesicht.


Nicht genug mit diesen Verwandten kommt auch noch ihre Jugendfreundin Maya dazu, mit der Danielle eine nicht näher erklärte Affäre hatte, die zu wiederholen ihr die Mutter verbietet. Gegenpol zur unsicheren Danielle ist die zielstrebige Maya, die schon ihr Jusstudium abgeschlossen hat. Und schließlich taucht mit Max auch noch der Kunde des Beginns auf, der sich als ehemaliger Mitarbeiter von Danielles Vater entpuppt und im Gegensatz zu seinen eigenen Aussagen Frau und Baby hat. Nicht genug damit zeigt sich auch, dass er die Liebesdienste mit dem Geld seiner taffen und geschäftstüchtigen Frau bezahlt, und er selbst zu Hause offensichtlich nicht viel zu sagen hat.


Für Danielle folgt so eine unangenehme Situation auf die nächste und mit der sich steigernden psychischen Krise korrespondiert äußerlich ein Kratzer am Oberschenkel ebenso wie eine Tasse Kaffee, die sich über ihre weiße Bluse ergießt. Bald will sie so schnell wie möglich von der Feier flüchten, doch ihre Eltern wollen noch bleiben.


Im genauen Blick auf diese Trauerfeier spürt man, dass Seligman, die für ihr 75-minütiges Spielfilmdebüt ihren gleichnamigen Kurzfilm, den sie als Abschlussfilm ihres Studiums an der New York University Tisch School of the Arts gedreht hatte, ausgebaut hat, dieses Milieu genau kennt. Mit schnellen Dialogen und einem auch in den Nebenrollen perfekten Ensemble deckt sie ebenso treffsicher wie bissig das Verhalten der Verwandten, aber auch den Generationenkonflikt und die Machtverhältnisse auf.


Als ihr Alter Ego kann man dabei die von Rachel Sennott fulminant gespielte Protagonistin ansehen. Ein tragikomischer Charakter ist das, aber Seligmans Blick auf deren Unsicherheit und Suche nach Orientierung und selbstbestimmtem Leben ist immer warmherzig und einfühlsam.


Rasant und dicht treibt die Regiedebütantin durch die zeitliche und räumliche Engführung ebenso wie durch die wechselnden Kontakte Danielles bei dieser Shiv´a die Handlung mit Dialogwitz und Situationskomik voran. Hinreißend lässt sie ihr fulminantes Debüt schließlich mit einer ebenso grandiosen wie im Schlussbild hoffnungsvollen Szene enden, die Erinnerungen an die legendäre Schiffskabinenszene im Marx-Brothers-Film "A Night at the Opera" wecken kann.


Als Bonus bietet mubi.com im Anschluss an den Film ein etwa 15-minütiges, ebenfalls deutsch untertiteltes, sehr informatives Q & A mit der Regisseurin.


Trailer zu "Shiva Baby"



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