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  • AutorenbildWalter Gasperi

Streaming: Minjan


Im New York der späten 1980er Jahre beginnt der 17-jährige Sohn russischer Immigranten, der in der konservativen jüdischen Community aufwächst, zunehmend seine Homosexualität auszuleben. – Eric Steels ebenso unaufgeregtes wie genaues und feinfühliges Drama wird im Salzgeber Club zum Streaming angeboten.


Schon die erste Einstellung macht bewusst, wie ein Film sein Publikum in eine andere Welt versetzen kann, in die es sonst nie Einblick gewinnen würde. Nicht nur ins New York der späten 1980er Jahre entführt Eric Steel den Zuschauer, sondern mit dem Kaddisch für eine Verstorbene auch in das wenig bekannte Milieu der konservativen jüdischen Community von New York.


Die Großmutter des 17-jährigen David (Samuel H. Levine) ist gestorben. Weil sich sein geliebter Großvater die bisherige Wohnung nicht mehr leisten kann, machen sie sich auf die Suche nach einer neuen Unterkunft. Von einem Rabbi werden zwar Wohnungen angeboten, doch diese sind sehr begehrt. Weil David sich aber bereit erklärt, mit dem Großvater den jüdischen Gottesdienst zu besuchen und damit den "Minjan" von mindestens zehn Gläubigen, die für die Abhaltung eines Gottesdienstes nötig sind, zu komplettieren, erhält der Opa den Zuschlag.


Statt weiterhin in der elterlichen Wohnung mit der Mutter, die in Russland Zahnärztin war und nun als Sprechstundenhilfe arbeitet, und seinem Vater, einem ehemaligen Boxtrainer, der nun als Physiotherapeut Geld verdient, zu wohnen, zieht David zu seinem Opa in den Apartmentkomplex. Dort lernt er auch die ebenfalls aus Russland emigrierten Itzik und Herschel kennen, die seit dem Tod ihrer Frauen zusammen leben, und entdeckt, dass sie mehr als nur Freunde sind. Gleichzeitig beginnt er aber auch zunehmend sich seiner eigenen Homosexualität bewusst zu werden und diese auszuleben, obwohl die neue Seuche AIDS Angst verbreitet.


Der 1964 geborene Eric Steel, der für sein Spielfilmdebüt eine Kurzgeschichte des lettisch-kanadischen Schriftstellers David Bezmogis von Toronto ins russisch-jüdische Milieu des im Süden Brooklyns gelegenen Brighton Beach verlegt hat, und eigene Erfahrungen in der New Yorker Schwulenszene der 1980er Jahre einfließen ließ, erzählt unaufgeregt. Er vertraut auf seinen genauen Blick, in dem man seine Herkunft vom Dokumentarfilm spürt. Atmosphärische Dichte gewinnt "Minjan" dabei nicht nur durch die sorgfältige Schilderung der eher ärmlichen Lebensbedingungen, der Toraschule, jüdischer Feiern und dieses Viertels abseits von Glamour und den Sehenswürdigkeiten des Big Apple, sondern auch durch die authentischen Schauspieler und den fließenden Wechsel zwischen Englisch, Russisch und Jiddisch.


Dem sexuellen Erwachen Davids, dessen Begehren immer wieder in Blicken spürbar wird, steht dabei die Generation der Alten gegenüber, deren Leben von der Shoah überschattet wird. Ohne es groß zu betonen, wird beiläufig diesem Genozid AIDS als Seuche gegenübergestellt, die das Leben der Jungen belastet und bedroht.


Steel dramatisiert nicht, verzichtet auch, von zwei Ausnahmen abgesehen, auf homosexuelle Bettszenen. Zurückhaltend ist die Inszenierung, nie drängt sich "Minjan" dem Zuschauer auf, sondern lebt von ruhiger Beobachtung. Getragen von einem starken Samuel H. Levine, der einfühlsam die Suche Davids nach Orientierung und einem Platz im Leben vermittelt, entwickelt sich so ein unspektakuläres Porträt einer Lebenswelt und gleichzeitig die Geschichte eines Coming-of-Age und Coming-Out in einer konservativen Community, in der Homosexualität nur im Geheimen gelebt werden kann. Aber Steel zeigt auch, wie die Schule und die Literatur, in diesem Fall James Baldwins Roman "Giovanni´s Room", bei dieser Suche nach Orientierung helfen können.


Streaming im Salzgeber Club


Trailer zu "Minjan"



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