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  • AutorenbildWalter Gasperi

Streaming: Josep


Ein im sterbender liegender Großvater erinnert sich an seine Freundschaft zum katalanischen Zeichner Josep Bartoli, der nach dem Spanischen Bürgerkrieg in einem französischen Internierungslager eingesperrt wurde. – Der mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnete erste Trickfilm des "Le Monde"-Cartoonisten Aurel ruft in aufs Wesentliche reduzierten Bildern nicht nur aufwühlend einen dunklen Punkt der französischen Geschichte, sondern auch einen großen Künstler in Erinnerung. - Streaming bei Mubi.com.


Mitten hineingeworfen wird man in "Josep", wenn in düsteren, fast auf Schwarzweiß reduzierten Winterbildern ausgemergelte Männer ihre Waffen niederlegen, die spanisch-französische Grenze überschreiten und von französischen Beamten und Bürgern als Schande Frankreichs schikaniert und gedemütigt werden. Mitglieder der Internationalen Brigaden und auch Spanier suchen in Frankreich Zuflucht. Chancenlos sind sie im Kampf gegen Franco, an dessen Unterstützung durch die Nazis über der Szene fliegende deutsche Bomber erinnern.


Abrupt springt der Zeichner Aurel von dieser beklemmenden Vergangenheit in eine farbige Gegenwart, in der eine Familie aufbricht, um den dementen und todkranken Großvater zu besuchen. Wenig Empathie zeigt der Teenager Valentin zwar, doch als er allein auf den Opa aufpassen muss, entdeckt er in dessen Wohnung die Zeichnung eines Toten, die beim Opa Erinnerungen auslöst und ihn von seinen Erfahrungen in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren erzählen lässt.


Verankert ist "Josep" durch diesen Rahmen in der Gegenwart, will Jugendlichen eine Andockstelle bieten und andererseits ermöglichen es die Erinnerungen des fiktiven Opa dem französischen Zeichner Aurel sich bruchstückhaft und vage dem 1910 in Barcelona geborenen und 1995 in New York verstorbenen katalanischen Zeichner und Maler Josep Bartoli zu nähern.


Aufwühlend schildert Aurel in den ebenso einfachen wie reduzierten Bildern die Zustände im Internierungslager, in dem Josep nach der Flucht vor Francos Regime wie rund eine halb Million weitere Flüchtlinge 1939 eingesperrt wurde. Es fehlt nicht nur an Trinkwasser und medizinischer Versorgung, sondern auch an Nahrung, sodass Krätze, Skorbut und Typhus zum Alltag gehören. Nicht genug damit werden die Inhaftierten aber auch noch von den französischen Aufsehern gedemütigt und misshandelt. Teilweise zeigt "Josep" die Gräuel direkt, teilweise werden sie, wie beispielsweise eine Vergewaltigung durch die französischen Beamten, über die Tonspur angedeutet.


Hass nicht nur gegen die Roten, sondern auch Rassismus gegenüber den senegalischen Helfern, die die Drecksarbeit verrichten müssen, wird hier sichtbar. In extremer Untersicht macht Aurel immer wieder die Machtverhältnisse und die Ohnmacht der Internierten erfahrbar und versprüht bitteren Spott über Frankreich, wenn er die Trikolore oder ein Plakat mit den Schlagworten "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" einblendet.


Auch der Großvater gehört hier zu den französischen Gendarmen, enthält sich aber soweit als möglich der Demütigungen und entwickelt Empathie für Josep. Als er Josep Papier und Bleistift gibt und dieser das Lagerleben zu dokumentieren beginnt, entwickelt sich langsam eine Freundschaft, bei der schließlich der Franzose sogar beginnt für den Spanier dessen schwangere Verlobte zu suchen.


Dennoch wird Josep eine Chance zur Flucht nützen, aber noch einmal werden sie sich begegnen. Wieder wird der Opa, dessen Erinnerungen auch von Bedauern und Schuldgefühlen geprägt sind, dabei als Gehilfe der Gestapo auf der Seite der Täter stehen, aber schließlich doch Position beziehen, eine Handlung der Menschlichkeit setzen und die Seiten wechseln.


Wunderbar vielschichtig ist dieser gerade einmal 74-minütige Animationsfilm angelegt, bei dem auch immer wieder Zeichnungen von Josep Bartoli in die Erzählung eingebaut werden. Da wird einerseits diesem spanischen Künstler ein Denkmal gesetzt, andererseits geht es um Erinnerungen, die nicht frei von Täuschungen sind, wenn der Opa in Frankreich Frida Kahlo aus einem Fluss steigen sieht, die Bartoli doch erst Jahre später in Mexiko kennenlernte.


Andererseits erinnert "Josep", der natürlich auch vom Wert einer Freundschaft erzählt, an ein dunkles Kapitel der französischen Geschichte, in der man vor dem in Europa überhand nehmenden Faschismus die Augen verschloss und die Opfer in menschenunwürdigen Lagern, die in den deutschen Untertiteln sogar als Konzentrationslager bezeichnet werden, einsperrte. Und schließlich spielt Aurel im Historischen unübersehbar auf die Gegenwart an, warnt vor dem wiederum grassierenden Faschismus und Rechtspopulismus, verurteilt fehlende Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen und fordert mit der Figur des Großvaters auf, nicht zu- oder wegzusehen und mit der Masse mitzulaufen, sondern Position zu beziehen und entschlossen für Menschlichkeit einzutreten.


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Trailer zu "Josep"



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