Nur kurz währte die Karriere von Janis Joplin: In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre stieg sie mit ihrer schrillen Stimme zur Ikone der Rockmusik und der Hippie-Bewegung auf, starb aber schon 1970 im Alter von 27 an einer Überdosis Heroin. Mit einer Fülle an Archivmaterial und Interviews mit ihren Wegbegleitern und Verwandten zeichnet Amy Berg in ihrem Dokumentarfilm, der bei filmingo.ch gestreamt werden kann, Joplins Leben nach.
Ihre Hits wie „Me and Bobby McGee“, „Cry Baby“, „Mercedes Benz“ oder „Piece of My Heart“ gehören zu den Klassikern der Rockgeschichte. Sie entsprach nicht dem Schönheitsideal, war kein Girlie im Sinne von heutigen Popstars, sondern zeichnete sich durch ein wildes, ungebundenes und ungezügeltes Leben aus. Ihr Wesen und ihre Gefühle drückte sie in ihrem leidenschaftlichen Gesang aus, der nie harmonisch, aber immer authentisch war.
Die Dokumentarfilmerin Amy Berg, die 2007 für "Deliver Us from Evil", in dem sie sich mit den Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche auseinandersetzte, für den Oscar nominiert wurde, zeichnet chronologisch das Leben der 1943 im texanischen Port Arthur geborenen und 1970 in Los Angeles verstorbenen Rockikone nach. Durch die Verwendung einer Fülle von teilweise privatem Archivmaterial bietet Berg dabei nicht nur einen Einblick in das Leben dieser „größten weißen Blues-Sängerin“, sondern vermittelt auch mitreißend die Stimmung dieser Zeit der rebellierenden Jugend.
Ganz ausgespart bleibt freilich der gesellschaftlich-historische Kontext. Der Fokus liegt ganz auf Joplin. Unsichtbar bleiben eine repressive Gesellschaft und der Vietnamkrieg als Gegenpole zur Sängerin, ahnen lässt der Film aber auf jeden Fall, wie sehr sie zum Vorbild speziell für Frauen wurde, wie wesentlich sie mit ihrem Auftreten und ihrem Lebensstil deren Selbstbewusstsein stärkte und zu deren Befreiung beitrug.
Berg bietet Einblick in Joplins belastende Highschool-Zeit, während der sie gemobbt wurde, ebenso wie in die Flucht aus dieser Enge nach ihrem Schulabschluss durch die Übersiedlung nach San Francisco, dem liberalen Zentrum der aufblühenden Flower-Power-Bewegung. Man sieht sie bei ihren legendären Auftritten beim Monterey Pop Festival, wo sie 1967 den Durchbruch schaffte, oder bei Woodstock, aber auch bei der Studioaufnahme von „Summertime“ oder private Bilder aus dem Urlaub in Brasilien. Und immer wieder schneidet Berg Zuggleise als Metapher für das ungeheure Tempo, mit dem Joplin durch ihr kurzes Leben rauschte, dazwischen.
Größte Bewunderung verdient, wie die amerikanische Dokumentarfilmerin das immense Archivmaterial, das freilich kaum visuellen Augenschmaus bietet, sondern gerade durch die Grobkörnigkeit und Unschärfe auch ein Gefühl für die Zeit weckt, in siebenjähriger Arbeit aufgearbeitet und arrangiert hat. Ungemein faktenreich – fast schon übervoll – zeichnet Berg mit dieser Found Footage und Interviews mit Wegbegleitern sowie Joplins jüngeren Geschwistern das Leben dieser Rocklegende nach, lässt aber auch die Popmusikerin Chan Marshall alias Cat Power als Erzählerin Joplins Briefe an ihre Familie aus dem Off rezitieren und bietet so auch Einblick in deren unstillbare Sehnsucht nach Liebe und ihre Einsamkeit.
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Trailer zu "Janis: Little Girl Blue"
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