Abwesende Eltern, überforderte Lehrer: Ein Aushilfslehrer wird an einer New Yorker High School mit sozial verwahrlosten Teenagern konfrontiert, hat aber auch mit persönlichen Problemen zu kämpfen. Tony Kayes engagiertes und atemloses Schuldrama kann bei filmingo in Österreich und Deutschland ab 5.5., in der Schweiz ab 11.5. gestreamt werden.
Schon 1955 wurde Glenn Ford als idealistischer Lehrer in Richard Brooks Klassiker „Die Saat der Gewalt“ mit desinteressierten und rebellierenden Teenagern konfrontiert. Quasidokumentarisch schilderte Laurent Cantet 2008 in seinem mit der Goldenen Palme ausgezeichneten „Entre les murs – Die Klasse“ die Bemühungen eines Französischlehrers in einer Klasse mit hohem Migrantenanteil. Während sich Cantet fast ausschließlich auf die Interaktionen während des Unterrichts konzentrierte, spannt der Brite Tony Kaye („American History X“) sowohl inhaltlich als auch formal ein wesentlich weiteres Netz.
Im Zentrum der Handlung steht der von Adrien Brody („Der Pianist“) mit Inbrunst gespielte Aushilfslehrer Henry Barthes. Immer wieder spricht er frontal in die Kamera über sein Verständnis vom Beruf des Lehrers oder klagt über Eltern, die ihre Verantwortung nicht wahrnehmen. Spürbar ist das Engagement dieser Szenen, allerdings wirken sie auch sehr dozierend.
Hautnah konfrontiert wird man mit der Situation in der Schule, wenn eine Lehrerin bespuckt wird, wenn niemand zur Elternsprechstunde kommt, ein Vater sich nur per Telefon über die Schule beschwert oder ein anderer aus dem Off – selbst unsichtbar bleibend - kein Verständnis für die künstlerischen Interessen seiner Tochter zeigt.
Gleichermaßen prägnante wie plakative Bilder findet Kaye auch für die psychischen Belastungen, die die sozial verwahrlosten Teenager für die Lehrer darstellen: Längst ausgebrannt ist die Schulpsychologin („Drei Engel für Charlie“-Star Lucy Liu), ihr von Altstar James Caan gespielter Kollege kommt nur noch mit Antidepressiva über die Runden und Tim Blake Nelson hängt als Mr. Wiatt in den Pausen immer wieder verzweifelt im Maschendrahtzaun des Schulhofs. Diese sozialrealistische Schilderung bricht Kaye mehrfach durch schwarzweiße Animationsszenen auf, die die Gefühlslage der Lehrer, im Besonderen die von Barthes, nach außen kehren.
Kaye, dessen Herkunft vom Musik-Videoclip in rasend schnell geschnittenen Bildfolgen oder – relativ unmotiviert - eingestreuten Schwarzweißbildern zu spüren ist, beschränkt sich aber nicht auf die Schulsituation. Während die anderen Lehrer sowie die Schüler auf Typen reduziert bleiben und kaum Profil gewinnen, erhält Barthes auch einen privaten Hintergrund. Einerseits muss er sich nämlich um seinen dementen Großvater kümmern, wobei kurze, farblich verfremdete Rückblenden Einblick in eine traumatische Kindheit bieten, andererseits nimmt er sich der minderjährigen Erica (Sami Gayle) an, die auf den Straßenstrich geht.
Einfühlsame und bewegende Momente fehlen nicht, doch insgesamt hat Kaye entschieden zu viele Problemfelder in sein Drama gepackt. Vieles wird angeschnitten, aber nichts differenziert herausgearbeitet. Andererseits vermittelt der erzählerische Furor mitreißend die Sympathie und das Engagement des Regisseurs für eine Jugend, deren Zukunftschancen durch Versäumnisse der Eltern verbaut werden, und für Lehrer, die sich aufopfern, um den Teenagern einen Sinn im Leben zu vermitteln.
So mag „Detachment“ - der Titel meint die schmerzhaften emotionalen Loslösungen, die es im Leben gibt – zwar kein wirklich gelungener Film sein, kann aber gerade durch die holzschnittartige Skizzierung vieler brennend aktueller Problemfelder zu Diskussionen anregen.
Trailer zu "Detachment"
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