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  • AutorenbildWalter Gasperi

Stams


Kommentarlos begleitet Bernhard Braunstein Schüler:innen des Tiroler Skigymnasiums Stams durch ein Schuljahr. Der filmische Raum wird fast ganz den Teenagern überlassen, die von Weltcup- und Olympiasiegen träumen, deren Alltag aber von hartem Training, Unterricht und auch Enttäuschungen und Verletzungen bestimmt ist.


Lang ist die Liste der erfolgreichen Spitzensportler:innen, die das Skigymnasium Stams absolvierten. Die Skiläufer:innen Mario Matt, Stephan Eberharter, Benjamin Reich, Hubert Strolz, Marlies Schild, Anita Wachter und Katharina Liensberger zählen ebenso dazu wie die Skispringer Toni Innauer, Andreas Felder, Hans Neuper und Ernst Vettori oder die Nordischen Kombinierer Mario Stecher und Felix Gottwald. Stolz ist die Bilanz mit insgesamt 31 Gold-, 42 Silber- und 46 Bronzemedaillen bei Olympischen Winterspielen, 100 Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften sowie dem Sieg in 23 Weltcup Gesamtwertungen und 50 Weltcup Disziplinenwertungen.


Doch wie sieht der Alltag in – wie Bernhard Braunsteins Dokumentarfilm im Untertitel heißt - "Österreichs Kaderschmiede" aus. Nach dem Einstieg mit Trainingsläufen auf der Skipiste – gewissermaßen der Startschuss des Films – spannt der 43-jährige Regisseur den Bogen vom Eröffnungsgottesdienst in der prachtvollen Barockkirche des Tiroler Zisterzienserkloster über ein Schuljahr bis zur Aufnahme des nächsten Jahrgangs.


Wie der Priester am Beginn in der Predigt herausstreicht, dass nach der Würde zwar alle Menschen gleich seien, aber nicht nach den Talenten und jeder seine Talente nützen müsse, so hebt der Direktor am Ende in der Ansprache vor den Neuankömmlingen und ihren Eltern den eisernen Willen hervor, der nötig sei, um Erfolg zu haben. Kontur hat diese Forderung in den dazwischenliegenden 90 Minuten freilich schon längst gewonnen.


Da sieht man die Teenager beim Bankspringen bis zum Zusammenbruch oder beim kraftvollen Beindrücken. Dass freilich auch Allgemeinbildung nicht ausgespart bleibt, machen Blicke in Unterrichtsstunden deutlich, in denen politische Bildung gelehrt wird oder ausgehend von Sören Kierkegaard über die Frage diskutiert wird, ob der Mensch einen Körper habe oder ob er Körper sei. Und auch ein Blick in die Mensa fehlt nicht.


Im Zentrum steht aber doch immer wieder der Sport und dabei spielen auch die Physiotherapeuten eine große Rolle, die dafür sorgen sollen, dass Verletzungen auskuriert werden und die Gesundheit wieder hergestellt wird. Diese Verletzungen sind auch in den privaten Gesprächen der Schüler:innen in ihren Zimmern Thema und werden auch mit der Modellvorführung einer Kreuzband-Operation ins Bild gerückt.


Für heutige Zeiten irritierend, aber in diesem sportlichen Bereich wohl unvermeidlich ist die körperliche Nähe, die es hier teilweise zwischen älteren männlichen Therapeuten und Trainern sowie den Mädchen gibt. Ganz selbstverständlich wird da massiert oder bei der Anprobe eines Rennanzugs auch praktisch der ganze Körper von oben bis unten betatscht.


Daran, dass Körper und Seele im Sport immer zusammenspielen müssen, erinnert dagegen eine Szene mit autogenem Training sowie eine, in der ein Betreuer von einer Schülerin mit Nachdruck eine klare sportliche Zielformulierung für das kommende Schuljahr fordert. Freizeit scheint es daneben kaum zu geben. Kurz gehalten sind Szenen vom Gitarrespiel auf einer Wiese oder vom Blick in "Germanys Next Top Model" auf dem Laptop.


Im Stil des Direct Cinema eines Fréderic Wiseman beschränkt sich Braunstein ganz auf die begleitende Beobachtung. Im Zentrum stehen dabei die Schüler:innen - Skiläufer:innen ebenso wie Skispringer:innen. Lehrer:innen und Betreuer:innen kommen nur, wenn dies nötig ist, ins Bild. Auf jeden Kommentar wird verzichtet, der filmische Raum wird ganz den Teenagern überlassen, die immer wieder in Großaufnahmen ins Bild gerückt werden.


Ganz auf die Gegenwart des Schuljahrs konzentriert sich "Stams" dabei. Nichts erfährt man über die Biographie oder die Persönlichkeit der Schüler:innen, nicht einmal ihr Name wird genannt. Wie der Titel schon andeutet, geht es hier nicht ums Individuum, sondern um die Einrichtung, die durchleuchtet werden soll.


Der geduldige Blick Braunsteins und seines Kameramanns Serafin Spitzer sowie das völlig natürliche Agieren der Teenager vor der Kamera sind dabei die großen Stärken dieses Dokumentarfilms. In der Fülle der Szenen wird so ein anschauliches und vielfältiges Bild des Alltags im Skigymnasium geboten. Nah dran ist der Film an seinen Protagonist:innen, gleichzeitig ist der Blick, nicht zuletzt durch den Verzicht auf emotionalisierende Filmmusik, nüchtern und sachlich.


Als Qualität ebenso wie als Schwäche kann man dabei ansehen, dass Braunstein sich auf die Position des neutralen Beobachters beschränkt und sich jeder Wertung enthält. Nichts wird so verklärt oder beschönigt, auch bei den Wettkämpfen werden nicht Erfolge in den Mittelpunkt gestellt, sondern vielmehr sieht man enttäuschte und weinende Skispringer:innen oder es wird bei einem Rennen über einen schweren Sturz gesprochen, der sich im visuellen Off ereignet.


Offene Kritik bleibt aber außen vor und das Thema "Sexuelle Übergriffe", das 2017 publik wurde, wird schon aufgrund der gewählten Form der begleitenden Beobachtung nicht angeschnitten. Hier wird eben nicht recherchiert und nachgefragt, sondern gezeigt und das Urteil über diese Schule, in der zumindest der sportliche Leistungsdruck sehr hoch ist, wird dem Publikum selbst überlassen.


Stams Österreich 2023 Regie: Bernhard Braunstein Dokumentarfilm Länge: 97 min.


FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 22.3., 18 Uhr + Do 23.3., 19.30 Uhr TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Mi 29.3. - Fr 31.3. LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 19.4., 19 Uhr


Trailer zu "Stams"



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