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Spagat

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Eine Lehrerin zwischen Familie und Liebe zu einem illegal in der Schweiz lebenden Ukrainer, gleichzeitig belasten beide die Freiheitswünsche ihrer in der Pubertät steckenden Töchter. – Mit einem starken Ensemble, dicht gebautem Drehbuch und zupackender realistischer Inszenierung gelang Christian Johannes Koch ein intensives Debüt.


Gegensätze prallen schon in den ersten Einstellungen aufeinander, wenn einer intimen und in warme Farben getauchten Liebesszene zwischen der Lehrerin Marina (Rachel Braunschweig) und dem Ukrainer Artem (Alexey Serebryakov) eine Totale der winterlich kalten Gegend um Luzern gegenübergestellt wird.


Während Artem als Illegaler seine Existenz geheim halten muss, vertuscht Marina ihre Affäre. Ihrer gut bürgerlichen Welt steht Artems Leben am Existenzminimum gegenüber, ihrem Beruf als Lehrerin, sein körperlich fordernder Job in einem Steinbruch. Dennoch will Artems etwa 14-jährige Tochter Ulyana (Masha Demiri) dazugehören, will teilhaben am Luxus ihrer Schweizer Mitschüler*innen und als begeisterte Turnerin auch an einem Wettbewerb teilnehmen.


Weil sie dafür zunächst in der Schule, dann auch in einem Kaufhaus klaut, kommt auch der Vater in die Bredouille und muss untertauchen. Ulyana dagegen wird von Marina aufgenommen, deren Tochter Selma (Nellie Hächler), die sich von ihrer Mutter sowieso schon eingeengt fühlt, dafür zunächst wenig Verständnis zeigt, bald aber in Ulyana eine Freundin findet, mit der sie gegen ihre Mutter rebelliert. Langsam kommt freilich auch ihr Ehemann hinter deren Doppelleben.


Für ein Debüt beeindruckend stilsicher ist dieses Drama inszeniert, dessen Titel einerseits auf die gleichnamige Turnübung anspielt, andererseits natürlich auch den Spagat meint, den Marina mit der Gleichzeitigkeit von Familie und Affäre versucht. Nicht lange gefackelt wird hier, direkt ist der Einstieg und mit dynamischer Kamera und schnellem Schnitt treibt Christian Johannes Koch die Handlung zügig voran.


Nah dran ist er an seinen Figuren, zieht den Zuschauer auch durch die Verankerung im realistisch gezeichneten Milieu ins Geschehen. Dazu kommen die kalte Winterstimmung, verwaschene Farben und triste Schauplätze, die in Kontrast zur bürgerlichen Wohnung und Geburtstagsfeier Marinas stehen, durch die dicht eine frostige und deprimierende Atmosphäre evoziert wird.


Hier wird nichts beschönigt, sondern klassisches sozialrealistisches Kino wird geboten, das aus der Handlung heraus ein fast schon zu breites Spektrum an Themen entwickelt. Da geht es einerseits um das Leben eines Illegalen, dessen Situation prägnant und bedrückend geschildert wird, andererseits um die private Situation einer in einer scheinbar harmonischen Ehe lebenden Frau, die an einer Liebe, die wohl einfach über sie gekommen ist, zu zerbrechen droht.


Ein weiterer Aspekt ist der Gegensatz von saturiertem Schweizer Bürgertum und am Existenzminimum lebenden Migranten und der vor allem jugendliche Wunsch an diesem Reichtum teilzuhaben. Wie sich Ulyana ein ganz gewöhnliches Schweizer Leben wünscht, so ist auch Selma mit ihrer Situation nicht zufrieden, will mehr Freiheiten und kracht immer öfter mit ihrer Mutter zusammen.


Getragen wird das dicht gebaute Drama (Drehbuch: Christian Johannes Koch und Josa Sesink) von einem sehr starken und homogenen Ensemble. Eindrücklich macht Rachel Braunschweig die Zerrissenheit Marinas zwischen Familie und Liebe erfahrbar und offen bleibt, ob ihr Engagement für Ulyana sozial bedingt ist oder aus Liebe zu Artem erfolgt. Alexey Serebryakov vermittelt bewegend die bedrückende Situation Artems und die beiden Teenager Nellie Hächler und Masha Demiri lassen authentisch an den Sehnsüchten Selmas und Ulyanas und ihrer Rebellion gegen die Erwachsenenwelt teilhaben.


Da greift ein Rädchen ins andere, aber es wird auch alles auserzählt, sodass man bei allen Qualitäten doch auch bedauert, dass "Spagat" kein Rätsel, kein Geheimnis und keine Irritation zurücklässt: Das ist ein fast schon am Reißbrett entworfenes dichtes Drama, dem einzig die Freiräume für den Zuschauer, die Unschärfen und Offenheiten fehlen.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Spagat"



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