
Schönheit und Schrecken liegen in Chris Krikellis´ mit dem Großen Diagonale-Preis des Landes Steiermark ausgezeichneten Dokumentarfilm nahe beieinander, wenn der Filmemacher in bestechend schönen Cinemascope-Bildern dem Schicksal von Flüchtlingen nachspürt, die bei der Überquerung des griechisch-türkischen Grenzflusses Evros ums Leben kamen.
Als Reisender und Suchender sieht sich Chris Krikellis, der mit seinem ruhigen und langsamen Voice-over den unaufgeregten und meditativen Rhythmus seines Dokumentarfilms noch steigert. Ausgehend vom Passus über die Staatsbürgerschaft im deutschen Grundgesetz beginnt der deutsch-griechische Doppelstaatsbürger über seine eigene Identität zu reflektieren. Er kehrt in seine griechische Heimat zurück und trifft am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros – und damit an der EU-Außengrenze - auf den Gerichtsmediziner Pavlos Pavlidis. Dessen Aufgabe ist es unter anderem, bei der Flussüberquerung ertrunkene Flüchtlinge zu identifizieren.
Ganz auf Paflidis fokussiert Krikellis und lässt diesen detailliert und sachlich von seiner Arbeit berichten, hinter der immer wieder das unermessliche Leid der Flüchtlinge sichtbar wird. Wenn die Kamera von Judith Benedikt lange auf den wogenden Wellen des Flusses verharrt, werden dadurch intensiv Gedanken an diese tragischen Schicksale ausgelöst. Gleichzeitig lassen diese ruhigen Bilder und die langsamen Kamerabewegungen auch in den meditativen Rhythmus des Films eintauchen.
Der Griechenlandaufenthalt löst bei Krikellis aber auch Erinnerungen an seine eigene Familie, an seinen Vater und seine Mutter aus, und als dritte Ebene kommt schließlich bei Streifzügen mit Pavlidis durch die Gegend die Entsiedelung dieses Gebiets zur Sprache. Nicht nur die Eisenbahnschienen werden hier langsam von Gras überwachsen, sondern auch die Zapfsäulen einer einstigen Tankstelle sind hinter der wild wuchernden Vegetation schon fast verschwunden. Vor allem während der Krise in den 2010er Jahren seien die Menschen weggezogen, nur wenige seien geblieben, berichtet der Forensiker.
Etwas viel packt Krikellis mit diesen drei Handlungssträngen vielleicht in seinen Dokumentarfilm, andererseits hängen die drei Ebenen natürlich auch zusammen, wenn die Flüchtlinge gerade diese Gegend anstreben, die die Einheimischen verlassen und der Regisseur zwischen Deutschland und seiner ersten Heimat Griechenland zerrissen ist.
Krirkellis lotet diese Themen aber nicht schwergewichtig aus, sondern lässt durch die ruhige Erzählweise in diese Reflexion über den Wandel der Zeiten und das Verschwinden von Menschen und Dingen, aber auch in seine persönliche Geschichte und Befindlichkeit eintauchen.
In Kontrast zu den teilweise erschütternden Erzählungen von Pavlidis und den persönlichen Reflexionen des Filmemachers stehen dabei immer wieder die ebenso prächtigen wie ruhigen Landschaftstotalen von weiten braunen Feldern und Ebenen. Doch auch in diese schleicht sich der Schrecken, wenn sich darin plötzlich ein kaputtes Schlauchboot oder Turnschuhe, Jacken und Hosen von Menschen finden, die offensichtlich bei der Flucht im Fluss ertrunken sind.
Noch weiter spannt der Deutsch-Grieche, der an der Wiener Filmakademie studiert hat, den Bogen, wenn der Fluss auch Gedanken an Gott und den Tod auslöst und er existentielle Fragen nach einem Leben nach dem Tod mit seinem Begleiter diskutiert.
Doch nichts wird hier aufgebauscht und besonders betont, sondern ganz dem Fluss entsprechend, der immer wieder ins Bild gerückt wird, bleibt die Erzählweise poetisch und fließend. Einfühlungsvermögen und Geduld verlangt so dieser ruhige Film, der nicht nur den Bildern, sondern vor allem den Gedanken der Zuschauer:innen viel Raum lässt, doch lässt man sich darauf ein, wirkt "Souls of a River" lange nach.
Einerseits wird man nämlich auf unaufdringliche, aber eindringliche Weise an das Schicksal von Flüchtlingen und unseren Umgang mit diesen Menschen erinnert, andererseits wird man mit den persönlichen Reflexionen des Regisseurs auch auf sich selbst zurückgeworfen, wird angeregt über seine eigene Familiengeschichte und seine eigene Identität nachzudenken.
Das Wunder dieses Films ist dabei, wie unspektakulär und leise Krikellis inszeniert, und wie die einzelnen Themen und Erzählstränge auch durch das Voice-over des Regisseurs, das das Rückgrat des Films bildet, zusammenfließen und sich zu einem berührenden und bruchlosen Ganzen fügen.
Souls of a River Deutschland / Griechenland / Österreich 2022 Regie: Chris Krikellis Dokumentarfilm mit: Pavlos Pavlidis, Chris Krikellis Länge: 83 min.
Läuft derzeit in den österreichischen Kinos.
Trailer zu "Souls of a River"
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