Sorry, Baby
- Walter Gasperi

- vor 12 Minuten
- 3 Min. Lesezeit

Eva Victor erzählt in ihrem Spielfilmdebüt leise, aber bewegend, wie ein Leben durch ein traumatisches Ereignis erschüttert wird und wie lange der Prozess der Heilung dauert: Ein trotz des ernsten Themas von Humor durchzogenes zartes Drama, das die Kraft der Freundschaft feiert.
In der Totale erfasst die Kamera von Mia Cioffi Henry das auf einer Wiese zwischen einigen Bäumen stehende Landhaus. Die kahlen Bäume, das kalte Licht und Blau- und Grautöne evozieren eine winterlich kalte Atmosphäre, die die Afroamerikanerin Lydie (Naomie Ackie) mit ihrem Frieren bei der Ankunft bestätigt. Sie besucht in dieser ländlichen Gegend Neuenglands ihre Studienfreundin Agnes (Eva Victor), die inzwischen an der Universität der Kleinstadt Professorin ist.
Der Gegensatz zwischen der Kälte draußen und der Wärme im Haus korrespondiert mit der Vertrautheit in der Freundschaft zwischen Agnes und Lydie und der Gleichgültigkeit und Kälte der Welt. Diese Freundschaft gibt Agnes Kraft, lässt sie aufblühen, denn so sehr sie sich auch über den Besuch von Lydie freut, die mit ihrer Ehefrau in New York lebt und von ihrer Schwangerschaft erzählt, so kommt die Sprache doch auch auf ein schlimmes Erlebnis, das das Leben von Agnes erschütterte.
So springt "Sorry, Baby" von diesem ersten Kapitel, das den Titel "The Year with the Baby" trägt, im zweiten Kapitel drei Jahre zurück ins "The Year with the Bad Thing". Indem jedes der fünf Kapitel mit "The Year …" überschrieben ist, vermittelt die Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Victor, wie viel Zeit es braucht, um über dieses "Bad Thing" hinwegzukommen und wieder Lebensmut zu fassen.
Damals arbeitete sie an ihrer Dissertation in englischer Literatur. Ihr Professor war begeistert von ihrer Arbeit und lud sie zur Besprechung in sein Haus ein. Victor zeigt zwar noch, wie Agnes das Haus betritt, doch das Folgende spart sie aus. Vielmehr blickt die Kamera von der Straße auf das Haus, während in drei statischen Einstellungen, in denen draußen Dunkelheit einbricht und drinnen die Lichter angehen, der Nachmittag in den Abend und die Nacht übergeht.
Ahnen kann man, was drinnen geschehen ist, wenn Agnes schließlich mit zerzaustem Haar und ihren Schuhen in der Hand wieder auf die Straße tritt, verstört zu ihrem Wagen geht und nach Hause fährt. Musiklos bleibt "Sorry, Baby", wenn Agnes schließlich in langen statischen Einstellungen ihrer Freundin detailliert vom sexuellen Übergriff durch den Professor erzählt.
Spürbar wird die Kraft der Freundschaft, wenn Lydie ruhig zuhört, ihrer Freundin so Raum gibt und sie zu nichts drängt. In Kontrast zu dieser Innigkeit und dem tiefen Mitgefühl steht die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit, wenn Vertreterinnen der Universität zwar mehrfach betonen, dass sie Frauen seien, in diesem Fall aber nichts machen könnten, oder ein Arzt emotionslos Standardfragen zu dem Übergriff stellt.
Gleichzeitig wird aber auch die Widerstandskraft von Agnes spürbar, wenn sie die Universität nicht verlässt, sondern dort schließlich sogar die Stelle und das Büro des übergriffigen Professors übernimmt. Immer wieder bricht aber das Trauma durch, wenn sie beispielsweise im Kapitel "The Year with the Questions" vor Gericht als Geschworene fungieren soll, oder wenn im Kapitel "The Year with the Good Sandwich" die Begegnung mit einer ehemaligen Studienkollegin eine Panikattacke auslöst.
Und doch wird auch spürbar, wie das Leben langsam wieder zurückkehrt, wenn sie ein streunendes Kätzchen bei sich aufnimmt, ein Ladenbesitzer sie beruhigt und mit ihr einen Sandwich teilt und sie sich mit ihrem Nachbarn (Lucas Hedges) anfreundet.
Weniger eine stringente Geschichte entwickelt Eva Victor, sondern vermittelt vielmehr in einzelnen Szenen, in denen sie den Figuren viel Zeit lässt, die schwere Erschütterung durch den sexuellen Übergriff, ebenso wie die heilende Kraft nicht nur einer tiefen Freundschaft, sondern auch von zufälligen Begegnungen.
Wunderbar zurückhaltend und mit größtem Feingefühl ist das inszeniert. Der Kälte der Welt steht Victors mitfühlender Blick auf die von ihr selbst gespielte Protagonistin gegenüber. Nicht künstlich wirken hier die Gefühle, sondern ehrlich und echt. Auch die auf jede Dramatisierung verzichtende unaufgeregte Erzählweise sorgt dafür, dass man hier dem Leben zuzuschauen meint.
Nichts verharmlost oder beschönigt der weitgehend mit einem weiblichen Team gedrehte Film, aber trockener Witz sorgt dennoch immer wieder für Leichtigkeit und vor allem stellt Victor nicht den Übergriff ins Zentrum, sondern vielmehr die Widerstandskraft von Agnes und die Macht der Freundschaft, die im letzten Kapitel nochmals gefeiert wird.
Sorry, Baby
USA / Spanien / Frankreich 2025
Regie: Eva Victor
mit: Eva Victor, Naomi Ackie, Louis Cancelmi, Kelly McCormack, Lucas Hedges, John Carroll Lynch
Länge: 103 min.
Läuft jetzt in den österreichischen Kinos, z.B. vom 19.12. bis 21.12. im Kino GUK in Feldkirch.
Trailer zu "Sorry, Baby"




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