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AutorenbildWalter Gasperi

So This Is Christmas

Der Ire Ken Wardrop kontrastiert in seinem berührenden Dokumentarfilm Bilder von geschmückten Weihnachtsbäumen und Schaufenstern mit den Porträts von fünf Menschen, die mit dem Leben zu kämpfen haben.


Märchenstimmung lässt das Insert "Irgendwo in Irland ... zur zauberhaftesten Jahreszeit" aufkommen. Poesie und Zärtlichkeit versprühen auch die ersten Bilder von einer von Raureif überzogenen Landschaft und die warmen Farben der Kirche und der Kleidung der Schüler:innen, die den Pfarrer fragen, was der Weihnachtsmann und Jesus miteinander zu tun haben.


Momentaufnahmen von Weihnachtsvorbereitungen in einer irischen Kleinstadt vom Schmücken der Schaufenster über eine Diskussion von Weihnachtsmännern bis zum Rupfen eines Truthahns und der Vorbereitung eines Krippenspiels ziehen sich durch Ken Wardrops Dokumentarfilm. Wohlige Weihnachtsstimmung verbreiten die Bilder von leuchtenden Lichterketten, tiefgrünen Zweigen und vorwiegend rotem Weihnachtsschmuck.


Verstärkt wird diese Atmosphäre noch durch die Weihnachtsmusik, die den Bildern unterlegt ist. Diese strahlen dadurch, dass Kameramann Narayan Van Maele nicht mit digitalem, sondern mit analogem 35-mm-Film gearbeitet hat, zudem einen ganz eigenen Reiz aus und wirken teilweise wie aus der Zeit gefallen.


Kontrastiert werden diese Szenen aber von fünf Porträts, die Wardrop parallel zwischen diesem wohlbekannten, süßlich-kitschigen Weihnachtsbild zeichnet. Nicht leicht haben es diese Menschen nämlich im Leben, sodass für sie angesichts ihrer bedrückenden Situation diese "Zeit der Liebe und Freude" besonders belastend ist.


Da gibt es den alleinstehenden Mann, der nie über den Tod seiner Mutter hinweggekommen ist und in seiner verdreckten Wohnung auf der Couch schläft, oder die an einer Essstörung leidende Frau, der das Weihnachtsessen ein Graus ist und die sich und ihrer Umwelt immer noch vormacht, in einer Beziehung zu leben.


Der einzige soziale Kontakt einer anderen, stets rauchenden Frau, die über ihre Begeisterung fürs Lesen spricht, besteht dagegen im wöchentlichen Besuch eines Online-Lieferservices. Doch sie liebt ihre Einsamkeit, will nur nicht vergessen werden.


Eine arbeitslose, alleinerziehende Mutter von drei Kindern spricht dagegen über ihre großen finanziellen Probleme und lässt zunehmend auch tiefer in ihre Vergangenheit blicken. Das Leben eines Vaters von zwei Kindern wird schließlich vom Tod seiner Frau während des letzten Jahres überschattet. Er will die Verstorbene ehren, indem er Weihnachten mit seinen Kindern genau so feiert, wie sie es alljährlich gefeiert hat.


In statischen Einstellungen und bestechender Mischung von ruhiger Beobachtung und frontal in die Kamera gesprochenen Interviews entwickelt Wardrop kommentarlos diese Porträts. Sukzessive lässt er dabei tiefer blicken, deckt langsam zunächst Ausgespartes und Verschwiegenes auf. Gerade im Kontrast zu den klassischen Weihnachtsbildern, die in genauem Timing eingeschoben werden, gewinnen diese Porträts bewegende Kraft.


Gleichzeitig bewegen sich die Geschichten dieser Menschen auch auf Weihnachten zu. Nicht nur Erinnerungen an das Weihnachten der Kindheit und die Religiosität der Familie kommen zur Sprache, sondern es werden schließlich auch Weihnachtsbäume geschmückt, Geschenke verpackt und ein Weihnachtsessen vorbereitet, sodass sich zunehmend die Frage nach der Bedeutung von Weihnachten verdichtet.


An die Stelle materieller Geschenke tritt dabei die Freude, die die Mutter mit ihren Kindern trotz ihrer finanziellen Probleme finden kann, oder die Zeit, die der Vater seinen Kindern schenkt. Und auch der einsame Straßenarbeiter findet im Pub einen Moment der Gemeinschaft mit der Wirtin, ehe er auf dem Heimweg im Dunkel verschwindet.


Der 44-jährige Ken Wardrop erweist sich mit seinem untypischen Weihnachtsfilm nicht nur als feinfühliger Beobachter, sondern sein zweiter Dokumentarfilm besticht auch durch seine Montage. Mit seinem großartig kontrollierten, unaufgeregten Rhythmus evoziert "So This Is Christmas" einerseits Weihnachtsstimmung, andererseits wachsen einem die sehr präsenten Protagonist:innen dank ihrer offenen Erzählungen und des empathischen, nie voyeuristischen Blick des Regisseurs rasch ans Herz. Bewegend verbreitet der Film so im Spannungsfeld ihres bedrückenden Alltags und der Harmonie, der Freude und des Glücks, die sich auch bei diesen Menschen schließlich einstellt, die Atmosphäre dieser Festtage.


So This Is Christmas Irland 2023 Regie: Ken Wardrop Dokumentarfilm Länge: 87 min.



Läuft derzeit in einigen Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.


Trailer zu "So This Is Christmas"



 

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