Monsieur Aznavour
- Walter Gasperi
- vor 11 Minuten
- 4 Min. Lesezeit

Vom armenischen Flüchtlingskind zum Weltstar: Mehdi Idir und Grand Corps Malade zeichnen das Leben von Charles Aznavour flüssig und unterhaltsam, aber auch allzu glatt und kantenlos als große Hommage an den legendären französisch-armenischen Chansonnier und Schauspieler nach.
Rund 1000 Chansons hat Charles Aznavour (1924 - 2018) geschrieben, in über 70 Filmen hat er mitgespielt. Zahllose Konzerte gab er und trat noch kurz vor seinem Tod am 1. Oktober 2018 im Rahmen einer Welttournee als 94-Jähriger unter anderem in Buenos Aires, Moskau, Rom, Wien, Sydney und Osaka auf.
Wie dieser französisch-armenische Entertainer seine ganze Energie in die Arbeit steckte und darüber auch persönliche Beziehungen vernachlässigte ist die Leitlinie des Biopics. Dass dabei Selbstzweifel und Krisen nicht ausblieben wird nicht ausgespart, aber im Zentrum steht doch die Feier des märchenhaften Aufstiegs aus ärmlichen Verhältnissen zum Weltstar.
Erstaunlich ist, wie Mehdi Idir und Grand Corps Malade abgesehen von einem Insert am Beginn mit einer 1960 spielenden Szene, die in der Luft hängt und überflüssig wirkt, ganz ohne Inserts zu Zeit und Orten auskommen. In fünf Kapiteln, die mit Songtiteln überschrieben sind, zeichnet das Regieduo flüssig das Leben des 1924 geborenen Sohnes armenischer Immigranten nach.
Mit Archivmaterial wird an den türkischen Genozid an den Armeniern erinnert, ehe mit in Braun getauchten Bildern die ärmlichen Verhältnisse, aber auch die Lebensfreude beschworen wird, in denen die Familie Aznavour in der Zwischenkriegszeit im Pariser Quartier Latin lebt. Als Initialzündung für seine Leidenschaft für die Bühne wird ein Auftritt als etwa Fünfjähriger inszeniert, ehe während des Zweiten Weltkriegs Engagements in kleinen Clubs, aber auch die Unterstützung der Resistance folgen.
Die Begegnung mit Edith Piaf (Marie-Julie Baup) leitet nach dem Krieg den Aufstieg ein, nimmt sich die legendäre Sängerin doch des kleinen Mannes mit seiner kratzigen Stimme an und fördert ihn. Gleichzeitig engt sie ihn mit ihrer Dominanz aber auch ein, bis er sich trennt, um seinen eigenen Weg zu gehen. Misserfolge bleiben dabei nicht aus, doch bald stellt sich der durchschlagende Erfolg ein.
Mit Montagesequenzen raffen Idir und Grand Corps Malade immer wieder Entwicklungen, vermitteln mit einer Abfolge von Bildern des Chansonniers in Pelzmänteln, mit teuren Autos und seines Anwesens bei Saint Tropez seinen rasenden Aufstieg oder verkürzen die Ehe mit der Schwedin Ulla Ingegerd Thorsell auf eine Einstellung von der Hochzeit und die bald schon etwa zwei- bis dreijährigen Kinder.
Aber auch mit spektakulären Kamerabewegungen verleihen das Regie-Duo und Kameramann Brecht Goyvaerts ihrem Biopic Schwung und Eleganz. Da gleitet die Kamera beim entscheidenden Konzert in Paris von Aznavour übers Orchester, zurück zu Aznavour, dann übers Publikum und wieder zu Aznavour, der schon glaubt durchgefallen zu sein, ehe doch Applaus aufbrandet, oder verbindet scheinbar ohne Schnitt mehrere Szenen. Denn da geht ein privates Vorspiel für Ulla bruchlos in eine Plattenaufnahme über, die wieder in Bilder übergeht, in denen die Familie schon die Schallplatte anhört, und in eine Szene, in der er das Chanson auf Englisch einstudiert.
Großen Fluss entwickelt "Monsieur Aznavour" so und gleitet nie ins abgehackte anekdotische Erzählen ab, sondern kann im Finale auch fließend mit Archivmaterial die letzten Lebensjahrzehnte und Konzerte dieses Weltstars bis hin zur Nachricht von seinem Tod zusammenfassen.
Der Wechsel in der Farbpalette und die Ausstattung vermitteln auch atmosphärisch dicht die verschiedenen Zeiten von ärmlicher Kindheit über die bedrückende Zeit der deutschen Okkupation, die Auftritte in verrauchten kleinen Clubs bis zu den Erfolgen in großen Konzertsälen.
Gleichzeitig verzichtet "Monsieur Aznavour" in der Fülle der Ereignisse und der Fokussierung auf seinen Protagonisten aber auch auf die Auslotung von Hintergründen oder persönlichen Beziehungen Aznavours. Nahezu bruchlos erfolgt hier die Trennung von seiner Frau, die er mit dem gemeinsamen Kind wegen seiner Karriere verlässt, ebenso wie von seinem Freund Pierre Roche oder von Edith Piaf.
Wenig Profil gewinnen die Nebenfiguren und auch Aznavour selbst, für dessen Verkörperung Tahar Rahim sich Gestik, Mimik und Sprechweise des Weltstars perfekt angeeignet hat, kommt man kaum wirklich näher. Rein auf Stichwortgeber, die die Berühmtheit und Vielseitigkeit Aznavours herausstreichen sollen, sind auch manche Szenen reduziert, wenn er in New York für wenige Sekunden Frank Sinatra trifft oder in seinem Haus mit dem jungen Johnny Hallyday ein Lied einstudiert.
Auch seine Aktivität als Filmschauspieler ist auf wenige Sekunden reduziert, in der er in einer Bar an einem Klavier sitzt. Mit dem Ruf "Schnitt" entpuppt sich diese Szene als Filmdreh und mit der Nennung des Namens Truffaut wird klar, dass es hier um "Schießen Sie auf den Pianisten" geht. Folgenlos bleibt diese Szene aber und es geht weiter mit der nächsten Aktivität Aznavours
Solche Momente bringen nicht nur wenig, sondern lassen auch ahnen, dass Idir und Grand Corps Malade auch in vielen anderen Szenen arg verkürzt, vereinfacht und wohl auch geschönt haben. Ambivalenzen, Ecken und Kanten finden sich kaum, konventionell inszeniertes, glattes Hochglanzkino wird geboten.
Einen differenzierten und realistischen Einblick in das Leben dieser Ikone bekommt man so kaum, doch immerhin sorgen die flüssige Erzählweise, die starke Darstellung von Rahim und vor allem die zahlreichen Songs von Aznavour dafür, dass man gut unterhalten wird, die 133 Minuten wie im Flug vergehen und die Erinnerung an diesen großen französisch-armenischen Chansonnier hochgehalten wird.
Monsieur Aznavour Frankreich 2024
Regie: Mehdi Idir, Grand Corps Malade
mit: Tahar Rahim, Bastien Bouillon, Marie-Julie Baup, Camille Moutawakil, Narine Grigoryan
Länge: 133 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn (Deutsche Fassung) sowie im Skino Schaan und Kinok St. Gallen (jeweils franz. O.m.U.).
Trailer zu "Monsieur Aznavour"
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