top of page
AutorenbildWalter Gasperi

Sisi & Ich


Ziemlich queer, ziemlich eigenwillig und sehr unterhaltsam: Frauke Finsterwalder erzählt mit einem von Sandra Hüller, Susanne Wolff und Georg Friedrich angeführten großartigen Cast aus der Perspektive der Hofdame Gräfin Irma Sztáry von Kaiserin Elisabeth.


Ernst Marischka hat in den 1950er Jahren mit seinen "Sissy"-Filmen mit Romy Schneider als Hauptdarstellerin das Bild von Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn geprägt. Dem kitschigen Zuckerguss hat schon letztes Jahr Marie Kreutzer mit dem spröden "Corsage" einen Film entgegengesetzt, in dem Elisabeths Streben nach Befreiung aus der einengenden Gesellschaft des kaiserlichen Hofes gegenüber gestellt. Dazu kamen in den letzten Jahren auch die zwei Serien "Sisi" (2021) und "Die Kaiserin" (2022), die sich mit diesem für Frauke Finsterwalder "größten weiblichen Popstar des 19. Jahrhunderts" beschäftigten.


Finsterwalder, der mit ihrem Debüt "Finsterworld" eine originelle Satire auf Deutschland gelang, blickt in ihrem zweiten Spielfilm, zu dem sie wie schon für "Finsterworld" zusammen mit ihrem Ehemann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, das Drehbuch schrieb, aus der Perspektive der Hofdame Gräfin Irma Sztáray (Sandra Hüller) auf die Kaiserin (Susanne Wolff). In dem 1909 veröffentlichten Buch "Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth" hat die ungarische Gräfin ihre Erinnerungen zwar festgehalten, doch Finsterwalder/Kracht sind an historischen Fakten kaum interessiert. Vielmehr entwickeln sie eine lustvolle feministische Befreiungsfantasie.


Mit der Off-Stimme Irmas wird von Anfang an die Perspektive vorgegeben. Unter den strengen Blicken ihrer dominanten Mutter wird sie eingekleidet und das Korsett eng geschnürt, doch unter dem Einfluss der Kaiserin wird sich die Gräfin schließlich von diesen Zwängen befreien. Sorgfältig wird sie von ihrer Vorgängerin auf einem Podest wie ein Pferd geprüft und nach ihrer körperlichen Fitness, nach Durchhaltevermögen und Ausdauer befragt: Die Kaiserin sei nämlich fordernd.


Nicht am Hof lernt sie schließlich ihre neue Arbeitgeberin kennen, sondern auf der Insel Korfu, wo Elisabeth mit fast ausschließlich Frauen lebt. Auch hier wird Irma zunächst von Graf Berzeviczy (Stefan Kurt) – dem einzigen Mann unter den Angestellten – mit einem Dauer- und einem Hürdenlauf auf ihre Fitness geprüft und von der Kaiserin schließlich als Hofdame akzeptiert.


Strenge Diät und tägliche Gewichtskontrollen verordnet sie zwar auch Irma, aber sonst verläuft hier fern von Wien das Leben befreit. Man geht wandern, springt ins Meer oder spielt auf der Bühne im Garten die derbe Aristophanes´-Komödie "Lysistrate". Bald kommt mit Erzherzog Viktor von Österreich auch der schwule Bruder des Kaisers vorbei, der sich ebenfalls der höfischen Gesellschaft entzogen hat.


Von Korfu aus macht man auch einen Ausflug nach Algier, wo die Kaiserin Mimosen-Eis kosten will, mit der Gräfin aber stattdessen in der Wüste die Wirkung von Haschisch kennenlernt. Weiter geht es nach England, wo sich Elisabeth den jungen Stallmeister Smythe kurz als Lover nimmt. Auf Dauer kann sie sich dem Hof und ihrem Mann, der selbst eine Affäre mit der Schauspielerin Katharina Schratt hat, nicht entziehen.


Queer und poppig ist das inszeniert. Schon der Dreh auf analogem Super-16-mm Film verleiht "Sisi & Ich" mit seinen rauen und körnigen Bildern, die im Kontrast zu Hochglanzproduktionen stehen, eine ganz eigene Frische. Das schon dadurch evozierte Gefühl der Befreiung von Konventionen und der Unbefangenheit wird noch entscheidend verstärkt durch die lichtdurchfluteten Sommerbilder von Thomas W. Kiennast und den rockig-poppigen Soundtrack mit Songs von Nico, Portishead, Le Tigre und weiteren Indie Pop-Bands.


Zur Tragikomödie wandelt sich dieser luftig-verspielte Film, wenn Finsterwalder ihre Protagonist:innen aus dem Freiraum, in dem auch die von ihrer Mutter stets unterdrückte und verspottete Gräfin Irma Lebensfreude entwickelt und sich in ihre unkonventionelle Chefin verliebt, an den österreichischen Hof und zu Kaiser und Ehemann zurückführt. So intensiv zuvor die Freiheit spürbar war, so beklemmend ist hier der Druck der höfischen Konventionen und des gefühlskalten Mannes, der trotz seiner allgemein bekannten Affäre Forderungen an seine Gattin stellt.


Getragen wird "Sisi & Ich" aber von einem lustvoll aufspielenden Ensemble. Großartig ist Sandra Hüller als zunächst eingeschüchterte Gräfin, in der langsam die Leidenschaft erwacht. Nicht minder beeindruckend ist Susanne Wolff als ebenso unglückliche wie exzentrische Kaiserin, die ihren eigenen Weg gehen will. Einen großen Auftritt hat aber auch Georg Friedrich als schwuler Graf Viktor und wunderbar zurückhaltend spielt Stefan Kurz den angestellten Graf Berzeviczy.


Beliebig könnte man diese Aufzählung fortsetzen, denn auch Nebenrollen wie der Stallmeister Smithey oder Gräfin Irmas Mutter sind mit Tom Rhiys Harries und Sibylle Canonica trefflich besetzen. – Großes Vergnügen bereitet es diesem Ensemble zuzusehen, sodass die 130 Minuten wie im Flug vergehen.

Sisi & Ich Deutschland / Schweiz / Österreich 2023 Regie: Frauke Finsterwalder mit: Susanne Wolff, Sandra Hüller, Stefan Kurt, Georg Friedrich, Sophie Hutter, Angela Winkler, Maresi Riegner, Sibylle Canonica, Tom Rhys Harries, Markus Schleinzer Länge: 132 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen, Skino Schaan und Kino GUK Feldkirch


Trailer zu "Sisi & Ich"


Comments


bottom of page