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  • AutorenbildWalter Gasperi

Simone Veil - Ein Leben für Europa


Simone Veil (1927 – 2017) ist zumindest in Frankreich als Kämpferin für Frauenrechte, Menschlichkeit und ein geeintes Europa eine Ikone. Olivier Dahan zeichnet in mosaikartigen Szenen ein eindrückliches Porträt der ehemaligen französischen Gesundheitsministerin und Präsidentin des Europäischen Parlaments, doch filmisch vermag das Biopic nicht zu überzeugen.


Nach Filmen über Edith Piaf ("La vie en rose", 2007) und Grace Kelly ("Grace of Monaco", 2014) schließt Olivier Dahan mit "Simone Veil – Ein Leben für Europa" seine Trilogie über bedeutende Frauen ab. Ankerpunkt seines Films ist dabei die gealterte Simone Veil (Elsa Zylberstein), die auf ihrer Terrasse in Südfrankreich sitzt und in die Ferne und damit gewissermaßen auf ihr langes und ereignisreiches Leben blickend an ihren Memoiren arbeitet.


In mosaikartigen Szenen erinnert sie sich bald an die heftige Parlamentsdebatte zur Legalisierung der Abtreibung, die 1975 zur Annahme des nach ihr benannten "Loi Veil" führte, bald in Licht durchfluteten Sommerbildern an die glückliche Kindheit in Südfrankreich, aber auch an die traumatischen KZ-Erfahrungen mit dem Verlust der Mutter.


Nicht chronologisch erzählt Dahan dabei, sondern reiht in einem Strom der Gedanken kurze, durch Zeitinserts verankerte Szenen aneinander. Mit diesem Blick der Protagonistin kann der 55-jährige Franzose einerseits in knapp zweieinhalb Stunden eine große Fülle an Ereignissen im Leben Veils vermitteln, andererseits wird freilich kaum eine Entwicklung sichtbar, sondern vielfach werden zusammenhangslos Szenen aneinandergereiht.


So sieht man kurz Veils Einsatz für Aidskranke in den 1990er Jahren, dann wieder ihr Kampf für Verbesserung der katastrophalen Haftbedingungen im Frankreich der 1950er Jahre oder für eine menschenwürdige Behandlung von algerischen Freiheitskämpfer:innen um 1960. Kurz gestreift wird auch, wie sie ihren Mann Antoine (Mathieu Spinosi) kennenlernte und mit ihm in den 1950er Jahren aus beruflichen Gründen auch in Deutschland lebte, und auch der Unfalltod ihrer Schwester Milou (Judith Chemla) oder ihr Weg zur Richterin wird nicht ausgespart.


Doch in der Fülle der Szenen wird auch nichts differenzierter ausgearbeitet. Im Stil eines Wikipedia-Artikels wird knapp und durchaus eindrücklich ein Porträt der herausragenden Leistungen dieser unermüdlichen Kämpferin für Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frauenrechte vermittelt, doch keine Szene wird vertieft, sondern oberflächliches Abhaken von Fakten dominiert.


Die Mosaiksteine fügen sich zwar zu einem Bild, doch eine filmische Erzählung und filmische Kraft entwickelt der Film nicht. Dazu fehlt es an künstlerischer Durchdringung des Stoffs und einem Gespür für große Kinobilder, die haften bleiben. Ein Problem ist dabei auch, dass in der Fokussierung auf Veil einerseits der gesellschaftliche Hintergrund weitgehend ausgespart bleibt, andererseits auch keine Nebenfigur Profil gewinnt.


Wie schon Dahans Piaf-Film von seiner Hauptdarstellerin Marion Cotillard getragen wurde, so sind es hier Rebecca Marder als junge Simone Veil und Elsa Zylberstein als reife Frau. Erschütternd vermittelt Marder so das Trauma der Deportation und Lagerhaft ebenso wie die Leidenschaft und das Engagement der jungen Veil, während Zylbersteins gestandene Politikerin Besonnenheit und Zurückhaltung mit Entschlossenheit beim Kampf für Gerechtigkeit und gegen Missstände verbindet.


Erzählfluss und Dichte entwickelt "Simone Veil – Ein Leben für Europa" aber erst gegen Ende, wenn die Erinnerungen an die traumatischen Erfahrungen während der NS-Zeit ins Zentrum rücken. Weil sich Dahan hier Zeit lässt, die Szenen länger werden und kalte und schmutzige Blau- und Grautöne eine dichte Atmosphäre evozieren, wird der Schrecken der Deportation und des Lebens im KZ Auschwitz bis zum Todesmarsch nach Bergen-Belsen kurz vor Kriegsende erschütternd erfahrbar.


Spürbar wird in diesen Szenen auch, wie die Liebe zur Mutter und deren Verlust ihr ganzes Leben und Handeln bestimmten. Vom Historischen schlägt Dahan dabei auch den Bogen zur Gegenwart, wenn der Hass der Nationalisten bei einer Rede Veils sichtbar wird, sie sich davon aber nicht einschüchtern lässt.


Dezidiert fordert der Film so auch auf, sich an dieser Politikerin, die immer an die Wichtigkeit eines geeinten Europas glaubte und nicht nur als Präsidentin des Europäischen Parlaments (1979 – 1982) dafür kämpfte, ein Beispiel zu nehmen und nicht den Volksverführer:innen der neuen Rechten, die vor allem bei den gesellschaftlich Schwachen ihre Anhänger:innen finden, zu folgen.


So funktioniert "Simone Veil – Ein Leben für Europa" in seiner Informationsfülle zwar als große Hommage an eine außergewöhnliche Frau, lässt aber gleichzeitig als Film unbefriedigt zurück: Durch eine Beschränkung auf wenige Aspekte in diesem ereignisreichen Leben wäre nämlich wohl mehr möglich gewesen.


Simone Veil – Ein Leben für Europa Frankreich / Belgien 2021 Regie: Olivier Dahan mit: Elsa Zylberstein, Rebecca Marder, Élodie Bouchez, Judith Chemla, Sylvie Testud, Olivier Gourmet, Mathieu Spinosi, Philippe Lellouche Länge: 141 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.b. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.


Trailer zu "Simone Veil - Ein Leben für Europa"


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