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AutorenbildWalter Gasperi

Shambhala

Min Bahadur Bham entführt in den nepalesischen Himalaya, wo sich eine schwangere Frau auf die Suche nach ihrem Mann macht: Ein bildmächtiges Drama, das mit seinem ethnographischen Blick und seinem meditativen Erzählrhythmus nicht nur in das alltägliche Leben in dieser abgeschiedenen Region, sondern auch in das buddhistische Streben nach Ruhe und Gelassenheit eintauchen lässt.


Im tibetischen Buddhismus ist Shambhala ein mythisches Königreich, das im Gegensatz zur Welt die Lehren des Buddhismus bewahrt und in dem Mensch und Natur im Einklang mit dem Geist sind. Immer wieder träumt die junge Pema (Thinley Llamo) von diesem Reich, doch ihr Alltag ist wesentlich profaner. Nach alter Tradition geht sie nämlich eine polygame Ehe ein und heiratet drei Brüder.


Weil Karma (Sonam Topden) aber als Mönch in einem buddhistischen Kloster lebt und Dawa (Karma Wangyal Gurung ) noch ein neunjähriger Grundschüler ist, wird Tashi (Tenzing Dalha) zu ihrem eigentlichen Ehemann. Als dieser zu einer mehrmonatigen Handelsreise nach Lhasa aufbricht, kümmert sich Pema um Dawa. Weil sie dabei aufgrund der Schulprobleme Dawas auch Kontakt zum Lehrer knüpft, kommen bald Gerüchte über eine Affäre und die Vaterschaft ihres noch ungeborenen Kindes auf. Als Tashi in der Ferne davon erfährt, kehrt er nicht in sein Heimatdorf zurück. Pema begibt sich aber auf die Suche nach ihrem Ehemann, um ihm ihre Liebe und Unschuld zu beweisen.


Acht koproduzierende Nationen lassen ahnen, wie schwierig es war Min Bahadur Bhams zweiten langen Spielfilm, der als erster nepalesischer Film in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wurde und den der Himalayastaat für den Oscar für den besten internationalen Film einreichte, auf die Beine zu stellen. Beträchtliche Herausforderungen brachten auch die Dreharbeiten mit sich, wurde "Shambala" doch im nepalesischen Himalaya in einer Höhe zwischen 4000 und 6000 Meter gedreht. Doch dieser Dreh an Originalschauplätzen machte sich bezahlt. Nichts wirkt hier gestellt und auch die Arbeit vorwiegend mit Laienschauspieler:innen trägt wesentlich zur Authentizität der Charaktere und dieser Welt fern jeder Zivilisation bei.


Da mag Dawa zwar davon träumen, Pilot zu werden, doch nicht nur keine Computer und Handys, sondern auch keine Autos und Elektrizität gibt es in dieser Welt. Nur ein Spielzeugflugzeug und eine Armbanduhr tauchen einmal auf und entwickeln dabei eine Präsenz, die die komplette Abwesenheit sonstiger westlicher technischer Errungenschaften umso bewusster macht.


Ausführlich lässt sich Bham dafür auf die geradezu ethnographische Schilderung des Alltags ein. Viel Zeit nimmt er sich für die Hochzeitszeremonie ebenso wie später für ein archaisches Gottesurteil und ein Totenritual und zeigt lange die Familie beim Abendessen, die Frauen beim Waschen am Fluss oder beim Sammeln von Yakdung.


Eingebettet in die ebenso grandiose wie karge Bergwelt, in der kaum etwas wächst, sondern Sand und Felsen die Landschaft bestimmen, entwickelt der Nepalese unaufgeregt seine Geschichte. In langen Einstellungen und ruhigen Schwenks lässt er seinen Charakteren viel Raum. In warme Brauntöne getauchte Innenszenen stehen dabei grandiosen Totalen des von verschneiten Bergen begrenzten Hochlands gegenüber, bei denen immer wieder kaltes blaues Licht und Farben die tiefen Temperaturen spüren lassen.


Abgesehen von einigen in Sepiatöne getauchten – nicht kitschfreien – Träumen erzählt Bham auch ganz linear, setzt auf Einfachheit statt auf inszenatorische Finessen und verzichtet auch weitgehend auf extradiegetische Filmmusik, während im Bild durchaus immer wieder musiziert wird. Statt mit Schuss-Gegenschussverfahren die Zuschauer:innen in seinen Film hineinzuziehen, bleibt er ruhiger Beobachter, lässt aber gerade durch den langsamen Erzählrhythmus in den im Kontrast zur hektischen westlichen Welt stehenden zwar harten, aber auch sehr entspannten Alltag eintauchen.


Mit Pemas Suche nach Tashi kommt zum ethnographischen Blick zunehmend auch ein spiritueller Aspekt hinzu. Einerseits erzählt Bham nämlich die Geschichte einer selbstbewussten Frau, die sich aus den gesellschaftlichen Traditionen befreit und ihren eigenen Weg geht, wenn sie trotz der Einwände ihrer Angehörigen aufbricht, andererseits wird die Reise mit ihren Herausforderungen und Entbehrungen für Pema auch zu einem Weg zu sich selbst.


Deutlich wird das auch dadurch, dass sich nach realistischem und quasidokumentarischem Beginn gegen Ende zunehmend surreale Momente in den Film schleichen, wenn Pema in der endlosen Weite völlig überraschend wieder dem Dorflehrer oder ihrer Großmutter begegnet. Zunehmend wird sie sich durch diese Begegnungen ihrer eigenen Existenz bewusst und lernt das Leben so anzunehmen, wie es ist.


Da mag "Shambhala" im traumhaften Ende dann zwar ins Esoterische abgleiten, der Bildkraft dieses Melodrams und seinem langsamem Erzählrhythmus wird man sich, sofern man sich darauf einlässt, aber kaum entziehen können und mit Pema für 150 Minuten in eine Welt abtauchen, die ferner, aber auch gelassener und in sich ruhend kaum sein könnte.


Shambhala Nepal / Frankreich / Norwegen / Hongkong/ Türkei / Taiwan / USA / Katar 2024 Regie: Min Bahadur Bham mit: Thinley Lhamo, Sonam Topden, Tenzing Dalha, Karma Wangyal Gurung, Karma Shakya Länge: 150 min.



Läuft derzeit in den deutschen und Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen. - Ab 13.12. in den österreichischen Kinos


Trailer zu "Shambhala"



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